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Die globale Systemfrage

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…und daher mehr als „nur“ Geopolitik Derzeit überschlagen sich im rechts-publizistischen Spektrum die Artikel zur Rückkehr zur Geopolitik. Keine namhafte Publikation im rechten Spektrum unterlässt es momentan, den Ukraine-Krieg und dessen internationale Implikationen aus der Theoriebrille klassischer Geopolitik zu betrachten, deren Autoren man inzwischen wiederentdeckt hat. Friedrich Ratzel, Karl Haushofer und natürlich Carl Schmitts „Land und Meer“ sowie seine „Völkerrechtliche Großraumordnung“ sind in aller Munde. (Fast hat man ein wenig den Eindruck, es sei unter Rechten „in“ geworden, auf diese zu verweisen. Assoziativ hat man eine Reihe von schnauzbärtigen Herren mit staatstragenden, ernsten Gesichtsausdrücken vor Augen, die sich in wilhelminischen Generalsuniformen um einen Tisch mit Kartenmodell scharen und auf diesem kleine Spielzeug-Panzer und -Schiffchen hin und her schieben. Man verzeihe dem Autor diesen – nicht böse gemeinten – szeneinternen Spott.) Um auch hier nicht fals

Kontextsteuerung im Dritten Reich?

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Das systemtheoretisch inspirierte und in diese Theorie eingebettete Konzept der Kontextsteuerung geht auf Helmut Willke zurück (vgl. Willke 2001; Willke 2006: 241ff.), der in Anlehnung an Luhmann zuvor eine Enthierarchisierung der gesellschaftlichen Ordnung konstatierte (vgl. Willke 1992; 1993), und wurde von Ludolf Herbst auf den Nationalsozialismus selbst angewendet, genauer gesagt auf das Verhältnis von politischem System und Wirtschaftssystem im Dritten Reich bzw. die Frage der Steuerung des letzteren durch das erstere (vgl. Herbst 2005). Hier wird zwar nicht von einem Phänomen der Entdifferenzierung ausgegangen, allerdings vermag das Konzept eine mögliche, alternative systemtheoretische Erklärung für das Verhältnis auch von Politik und Recht im Nationalsozialismus zu beinhalten, die zumindest teilweise ohne die These einer Entdifferenzierung auskommt und maßgebliche Teile der entsprechenden politischen Steuerung anderer gesellschaftlicher Teilsysteme weiterhin klar differenzierung

Zwei Städte, zwei Welten

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Dieser Text wurde vor genau drei Jahren, am 28. Februar 2020 verfasst - kurz vor Beginn der "Corona-Jahre".   Leben in Kontrasten   Man übertreibt nicht, wenn man Berlin quasi als das Gegenteil von Bielefeld bezeichnet. Berlin-Mitte zumindest ist - Achtung, ich gebrauche nun eine beliebte linksliberale Floskel - im wahrsten Sinne des Wortes "bunt". Nein, diese alten Klischees über die "dreckige", immer so etwas asoziale Stadt, mit unverschämten "Berliner Schnauzen", stimmen zumindest in Mitte so überhaupt nicht, trotz all der Baustellen. Aber über die muss man Einwohnern der "freundlichen Baustelle am Teutoburger Wald" ja auch nichts mehr erzählen. Soweit nichts Neues. Berlin-Mitte ist bunt, und ich meine das nicht mal im Sinne des naiv-schwärmerischen "Multikulti" (das sicherlich auch irgendwie). Ich meine das im Sinne von Reizüberflutung. Es ist nicht nur hektisch - das sind alle Großstädte irgendwie, ob nun Düsseldorf, Esse

Entdifferenzierung VII: Organisationsgesellschaften und organisierte Gesellschaften

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Ein Ansatz, der durchaus nicht wenige Parallelen zu dem der Kriegsgesellschaft aufweist, aber die in ihm enthaltenen Thesen nicht über das Phänomen des Krieges, sondern eher über die Wirkmächtigkeit politischer Ideologie herleitet, ist der der Organisationsgesellschaft nach Detlef Pollack (1990a; 1990b; 1991; 1994), welcher sich in seinen genannten Arbeiten insbesondere für die Gesellschaftsstruktur der DDR bzw. deren Veränderungen in den Jahren 1989/1990 interessierte, dessen Modell aber aus unserer Sicht durchaus auch auf das Dritte Reich anwendbar ist. Der „Aufhänger“ für Pollacks systemtheoretisch inspirierten und hergeleiteten Ansatz ist die oft geäußerte Kritik an eben jener Systemtheorie, dass diese gesellschaftliche Wandlungsprozesse nicht erklären könne, was Pollack zu der Zielsetzung veranlasst hat, ein Modell für die DDR-Gesellschaft vor ihrem Zusammenbruch zu entwerfen, mittels dessen der Übergang zu einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaftsstruktur erklärt werden k

Krise und Protest innerhalb liberaler Framings

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Für die Überwindung der bloßen Verneinung Nach langer Stagnation und politischer Depression, geprägt von ständigen innerparteilichen Zwistigkeiten, erlebt die AfD nun im Zuge von Energiekrise und Inflation in den Umfragen ihren zweiten Frühling. Den ersten erlebte sie infolge der Migrationskrise ab 2015, während sie von der Corona-Krise und deren Folgen nicht profitieren konnte. Nun allerdings, in Zeiten, in denen sich die Grundemotion in weiten, vor allem sozial benachteiligten Teilen der Bevölkerung von „Seuchenangst“ zu „Wut über Preisentwicklungen“ hin entwickelt hat, erlebt sie eine neue Erfolgswelle in den Umfragen und steht bundesweit bei ca. 15 %. Die Versuchung ist groß, darüber in eine gewisse Selbstzufriedenheit zu geraten. Doch diesen Fehler sollte die Partei nicht wieder machen. Stattdessen gilt es, programmatisch und stilistisch vorzusorgen – für Zeiten, in denen das Protestpartei-Rezept nur noch ungenügend zieht. Die AfD hat zwar, demoskopischen Erkenntnissen zufolge, d

Entdifferenzierung VI: Kriegsgesellschaften

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Ein Ansatz, der zwar eigentlich nicht aus dem systemtheoretischen Kontext stammt, der aber, wie wir zeigen werden, durchaus auf die systemtheoretische Konzeption übertragbar ist, ist der der Kriegsgesellschaften, welchen Volker Kruse (2009; 2015) unter Rückgriff auf die Theorie Herbert Spencers (2010) ausgearbeitet hat. Kruse bezieht sich in seiner Ausarbeitung auf Spencers Unterscheidung des industrial type of society und des militant type of society , die im Wesentlichen die für Kruses Kriegssoziologie relevante gesellschaftstypologische Differenzierung darstellt (vgl. Kruse 2015: 38-45). Das unzweifelhaft Interessante und auch Aufschlussreiche an dieser Unterscheidung stellt ihre gänzlich andere, sich von herkömmlichen Gesellschaftstypologien unterscheidende Prioritätensetzung dar: So richtet diese sich eben nicht mehr, wie noch bei Klassikern wie Saint-Simon und Comte, Marx und Engels, Tönnies, Durkheim und auch Luhmann üblich, nach einer grob erkennbaren, progressiven historische