Posts

Wo ist der Anstand geblieben?

Bild
Eine persönliche Bestandsaufnahme Es ist einige Tage her, als ich davon hörte, dass kürzlich (als Nachrückerin) die erste gehörlose Abgeordnete in den Bundestag eingezogen ist. Die SPD-Politikerin Heike Heubach wird künftig über Gebärdensprachen-Dolmetscher die Sitzungen verfolgen und wohl auch auf diese Weise ihre eigenen Reden halten. Als Politiker, der selbst eine Behinderung hat, interessierten mich die öffentlichen Reaktionen darauf – und mich reizte auch die Neugier darauf, ob es dazu tatsächlich die so oft beschworene „Hassrede“ geben würde oder ob sich diese Befürchtung eher als Phantom entpuppt. Was ich dann unter den Postings der größeren Medien auf Facebook zu der Nachricht an Kommentaren las, übertraf meine schlimmsten Erwartungen. Stellenweise zwar positive Kommentare, zu mindestens fünfzig Prozent aber Kommentare, die entweder aus schlechten Witzen über Gehörlose bestanden oder aber aus geiferndem Gezeter darüber, was diese ganzen Dolmetscher denn alle „den Steuerzahler

Rechtsprechung im Nationalsozialismus (I)

Bild
Im Falle der Peripherie des Rechtssystems im Nationalsozialismus – in Form der Gesetzgebung – können wir von einer deutlichen Politisierung (in Form eines Rekurrierens auf die politische Leitunterscheidung) ausgehen. Wie jedoch ist diese Frage mit Blick auf das Zentrum des Rechtssystems zu bewerten? Bevor wir an dieser Stelle auf für unsere Leitfrage wesentliche Tendenzen in der Entscheidungspraxis der Rechtsprechung im Dritten Reich zu sprechen kommen, gilt es zunächst einmal die nicht unmaßgebliche Reorganisation der Justiz bzw. genauer: des Gerichtswesens einer Analyse zu unterziehen. Hier haben sich insbesondere im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber auch im Zuge des oben bereits skizzierten, im Laufe der Jahre immer weiter ausgebauten Sonderrechts durchaus bedeutsame Veränderungen vollzogen. Auch die Frage der in liberalen Demokratien üblichen richterlichen Unabhängigkeit gilt es im Folgenden zu erörtern: War diese weiterhin gegeben – und wenn ja, nur auf dem Papier oder

Politischer Streik als Protestform

Bild
Von Linken lernen Die politische Atmosphäre in Deutschland kocht. Nach der Solidarisierung der AfD mit den Bauernprotesten und dem medialen Aufbauschen des „Geheimtreffens“ in Potsdam, bei dem letztlich nicht mehr besprochen wurde, als man in den Sezession-Heften und -Blogbeiträgen der letzten Jahre zum Thema Remigration nachlesen kann, überbietet sich das politische Establishment mit restriktiven Forderungen gegen die einzige echte deutsche Oppositionspartei. Auch ein AfD-Verbot soll jetzt „geprüft“ werden, auch wenn derlei Säbelrasseln keine realistische Grundlage haben dürfte. Es wird deutlich: Die Blockparteien haben Angst, große Angst. Das Wahljahr 2024 könnte bedeuten, daß AfD-Politiker in zig Rathäuser und Landratsämter einziehen, ja daß sie vielleicht sogar eine Landesregierung stellen könnten. Tiefgreifender Wandel könnte der Republik bevorstehen. Die AfD und die Protestbewegungen Die politische Rechte hat in den letzten Jahren gelernt, daß die gutbürgerliche Etepetete-Distanz

Zivilrecht im Nationalsozialismus

Bild
Das, im Vergleich betrachtet, geringste Ausmaß an Entdifferenzierung ist im Zivilrecht zu beobachten. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) blieb – ausgenommen das Ehe- sowie das Erbrecht – von den Nationalsozialisten zunächst weitestgehend unangetastet, was auch mit den darin vorzufindenden Generalklauseln zu tun hatte: Formulierungen wie etwa jene des § 242 BGB („Leistung nach Treu und Glauben“) (vgl. BGB o. J.: 122 / § 242), welche bewusst offen gehalten waren und erst durch die Rechtsprechung mit konkreter Bedeutung gefüllt werden mussten, ermöglichten es auch in diesem Fall, die bestehende „Interpretationslücke“ politisch, d. h. NS-ideologisch auszufüllen (vgl. Schwarz 2012) – ähnlich der Formulierung des „gesunden Volksempfindens“ im Strafrecht. Es bestand hier so gesehen schon vorher (bzw.: es besteht noch immer) über derartige Generalklauseln eine gewisse Offenheit des Rechtssystems für Interventionen von außen, die anderen, nicht-rechtlichen Leitdifferenzen folgen, und auch in dies

Das ökonomisierte Gesundheitswesen

Bild
Kliniken und Pflege im Kapitalismus Mehrmals täglich hörten und lasen wir in den Jahren 2020 bis 2022 von den Gefahren, die vom Coronavirus ausgingen, nicht selten untermalt von dramatischen Bebilderungen, die Leichensäcke bei Kliniken in Italien, Spanien und anderswo zeigten. Der eigentliche Grund für jene Entwicklungen, die eigentliche Problematik wurde uns damals wie heute vom politisch-medialen Mainstream verschwiegen – aber auch die politische Rechte tat sich abseits der (durchaus nicht unplausiblen) Great-Reset-Theorien nicht gerade damit hervor, hier mit der gebotenen analytischen Schärfe auf die eigentlichen Missstände hinzuweisen. Und doch liegen sie so klar vor einem, wenn man nur genau hinschaut: Der Ökonomisierung unseres Gesundheitswesens ist seit etwa Mitte der 80er Jahre (in denen aus Sicht mancher Babyboomer doch angeblich alles noch so großartig war) in vollem Gange. Die katastrophalen Auswirkungen erleben wir heute, nicht nur in Kliniken, sondern nicht zuletzt und vo

Strafrecht im Nationalsozialismus

Bild
Eine wesentliche Etappe der funktionalen Entdifferenzierung im Strafrecht – zu dem sich schon im NSDAP-Parteiprogramm aus dem Jahr 1922 die Forderung finden lässt, es nach biologisch-rassischen Gesichtspunkten (mit anderen Worten: im Sinne einer politischen Freund-Feind-Unterscheidung) zu gestalten (vgl. Staudinger 1999: 113f.) und deren wesentlichster Vordenker ein weiterer Vertreter der Kieler Schule, nämlich der zeitweilige Rektor der Universität Kiel, Georg Dahm, war – zeigte sich im „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“, kurz Gewohnheitsverbrechergesetz, vom 24. November 1933 (vgl. Müller 1997; Hartl 2000: 278-282). Das Gesetz verschob den strafrechtlichen Fokus weg vom Tat - hin zum Täter strafrecht, wobei bei der Sanktionierung von Verbrechen nicht länger die Straftat selbst als primäres Kriterium herangezogen wurde, sondern die Person des Straftäters selbst und deren Gefährdungspotenzial für die Allgemeinheit. Freilich