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„Christliches“ Abendland?

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Europas eigene Religion und die Ablehnung des Dualismus Die Formulierung des „christlichen“, manchmal gar des „christlich-jüdischen“ Abendlandes ist in nicht geringen Teilen der deutschen Konservativen in aller Munde. Nun ist das Abendland in seinem kulturellen Kern aber nicht nur nicht islamisch und nicht jüdisch, sondern auch nicht christlich: Die viele Jahrhunderte währende Dominanz der Kirchen, die in Wahrheit Machtpolitik teils hoch weltlicher politisch-religiöser Institutionen war, mag zwar diesen Eindruck schaffen, aber eben nicht mehr als „Kleider Leute machen“ – sie gaben Europa eine Art religiösen Mantel, ein Machtmittel, eine Form, spiegeln jedoch nicht seine spirituelle Substanz, sein Wesen wider. Die Ödnis des Jammertals Das dem Judentum entsprungene Christentum ist, ebenso wie der Islam, eine im Kern orientalische Religion, wie dies Sigrid Hunke in ihrem epochalen Werk „Europas eigene Religion – Der Glaube der Ketzer“ (2. Aufl. 1983) deutlich gemacht hat. Die Kernthese

Carl Schmitts Staatstheorie als Reflexionstheorie (II)

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Der Absolutheitsanspruch des Politischen in Schmitts Theorie wurde nach 1933 zu einem Absolutheitsanspruch des NS-Staates konkretisiert. Diesen formulierte Schmitt faktisch in seiner Schrift „Fünf Leitsätze für die Rechtspraxis“ als eben solchen Leitsatz wie folgt: „Der nationalsozialistische Staat ist ein gerechter Staat“ (Schmitt 1933: 201; zitiert nach Rüthers 1988: 112). Demnach war der politische Führer, egal was und wie er entschied, grundsätzlich im Recht, denn „ein „gerechter Staat“ konnte „artgemäß“ nur gerecht handeln. (…) Staatlicher Machtmißbrauch im NS-Staat wurde zur juristischen Unmöglichkeit erklärt“ (Rüthers 1988: 112). Auf diese Weise wurde das politische System – schon vor 1934 – in eine Stellung der Unangreifbarkeit gerückt, die zu problematisieren für das Rechtssystem somit unmöglich wurde. Schmitts Schlussfolgerung daraus war demnach: „Das gesamte heutige deutsche Recht (…) muß ausschließlich und allein vom Geist des Nationalsozialismus beherrscht sein (…). Jede A

Kein Leben in Abkürzungen

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Zum Tode von Martin Walser Es muß etwa 2003 gewesen sein, kurz vorm Abitur: Im Deutsch-Leistungskurs hatten wir das Buch „Ein springender Brunnen“ von Martin Walser zu lesen und später in Form eines Referates vorzustellen. Ich: Damals noch überzeugter Juso, nicht nur – wie wohl noch heute – sozial- und wirtschaftspolitisch links, sondern auch gesellschaftspolitisch. Nicht flammend antifaschistisch, aber Internationalist. Ein Gespür für Walsers subtilen Erinnerungsansatz und seine Begabung, Vergangenheit erzählerisch als Gegenwart begreiflich zu machen, ging mir völlig ab. Als Schüler war die Lektüre für mich eher zähes Pflichtprogramm. Nun habe ich aber bis heute die (für Regale zuweilen im wahrsten Sinne des Wortes belastende) Angewohnheit, Bücher nicht wegzuwerfen. Ich konnte es nie, kann und will es bis heute nicht. Immer sagte ich mir: Jedes Buch hat seinen Wert, auch wenn du ihn (noch?) nicht siehst. Ich bin ein Bücher-Messie. Vergangenheit als Gegenwart Eine gute Einstellung, w

Carl Schmitts Staatstheorie als Reflexionstheorie (I)

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Zunächst einmal ist es vonnöten darauf hinzuweisen, dass der nun folgende Text keinen Anspruch auf vollständige Darstellung des politisch-theoretischen und rechtstheoretischen Werkes Carl Schmitts erhebt, welches sich durch zahlreiche Facetten auszeichnet und sich verschiedenster Fragestellungen nicht nur im staatsrechtlichen, rechtstheoretischen und (de facto auch) politisch- und rechtssoziologischen Feld, sondern auch etwa im Bereich des Völkerrechts und der Geopolitik angenommen hat. Vieles davon weist gewiss auch mittelbar und indirekt einen Zusammenhang zur hier erörterten Thematik auf, jedoch würde es den Rahmen eindeutig sprengen, sich dessen in Gänze zu widmen. Hierfür wäre eine eigene Arbeit geboten, die aber dafür die in dieser Analyse zentrale systemtheoretische Leitfrage zurückstellen müsste. Wir konzentrieren uns daher im Folgenden vor allem auf Carl Schmitts Begriff des Politischen (vgl. Schmitt 2015a), Teile seiner Politischen Theologie (vgl. Schmitt 2015b) sowie nicht z