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Augen auf!

Eine Replik auf David Goeßmanns Entgegnung zum Artikel „Leben im Teufelskreis“ Sie, Herr Goeßmann, „entgegnen“ meinem stadtsoziologischen Artikel nicht lediglich kritisch, sondern scheuen sich nicht, bereits nach wenigen Sätzen die diskursive Atomwaffe auszupacken: „Pseudo-kritisch“ seien meine Aussagen, ja sogar „verlogen“ und – spätestens hier wird es besonders drastisch – Migranten gegenüber „stigmatisierend“. Mit anderen Worten: Wer – und wenn auch in moderatem, analytischem Stil – darlegt, dass wir in Deutschland ein Problem mit No-Go-Areas haben, die durch Parallelgesellschaften entstanden sind, stigmatisiert Migranten. Eine Aussage, die buchstäblich symbolhaft für eines der gravierendsten Defizite unserer aktuellen politischen Debattenkultur steht. Sie betonen zu Beginn ihrer Entgegnung, meine versachlichenden Worte fielen nicht in einem „gesellschaftlichen Vakuum“, sondern vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise, „Rekordfremdenfeindlichkeit“ und eines „politisch und

Unsicherheit als Arbeits- und Lebensbedingung

Über die psychosozialen Folgen befristeter Arbeitsverhältnisse Es ist alles andere als ein Geheimnis, dass befristete Arbeitsverhältnisse mittlerweile nicht wenige Teile der Arbeitswelt dominieren. So ist es – längst nicht nur, aber auch – etwa im deutschen Wissenschaftssystem zur Normalität geworden, dass zumeist erst derjenige berufliche Sicherheit erreicht hat, der eine Professur hat ergattern können. Die psychosozialen Auswirkungen von derlei Arbeitsbedingungen sind in vielfacher Hinsicht schädlich – und machen ein politisches Umdenken dringend nötig. Mit der Promotion geht es los, das Elend. Nein, ganz so dramatisch, wie dies nun klingt, ist die Lage nicht. Und dennoch: Nach dem hoffnungsvollen Start als Nachwuchswissenschaftler folgt oft erst einmal die kalte Dusche. Wer nicht das Glück hat, für eine Dauer von bis zu drei Jahren ein Promotionsstipendium im Rahmen der Begabtenförderung etwa einer parteinahen Stiftung zu ergattern, der schlägt sich während der Promotion oft

Leben im Teufelskreis

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Ein stadtsoziologischer Blick auf Ghettoisierung, „Problemviertel“ und „No-Go-Areas“ Die Probleme, die sozialräumliche Prozesse wie Ghettoisierung und die sogenannte residentielle Segregation nach sich ziehen, sind vielfältig: Sowohl für diejenigen, die in sozialen Brennpunkten leben (müssen), als auch für Staat und Behörden und die Gesellschaft als Ganzes. Die Gründe für die Entstehung und dauerhafte Etablierung von „Problemvierteln“ sind indes komplexer, als es die öffentliche Debatte über sie suggeriert. Eine stadtsoziologische Perspektive auf das Phänomen mag helfen, diese Komplexität besser zu erfassen. Residentielle Segregation ist nicht nur ein Phänomen, das sich durch die Menschheitsgeschichte zieht, sondern auch – mal in stärkerer, mal in geringerer Ausprägung – auf dem gesamten Globus wiederzufinden; mindestens da, wo Menschen in Metropolen zusammenleben. In ihren gravierendsten Ausprägungen, insbesondere in Entwicklungsländern, sprechen wir von „Slums“ und „Favelas“. Bei

Posttraumatische Belastungsstörung: Das verschwiegene Leid

Was man nicht sehen kann, ist erklärungsbedürftig. Eine Tatsache, die Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, rund um den Globus immer wieder in quälender Regelmäßigkeit erleben müssen. Ohne die gravierenden Probleme eines Alltags etwa mit körperlicher Behinderung relativieren zu wollen: Ein Rollstuhlfahrer muss weitaus weniger erklären. Er muss nicht erklären, wieso er die dritte Etage eines Gebäudes ohne Fahrstuhl nicht eigenständig betreten kann – und niemand wird diese Erklärung von ihm einfordern. Psychisch erkrankte Menschen müssen in den meisten Fällen ohne diese Selbstverständlichkeit zwischenmenschlichen Anstands klarkommen: Da die soziale Umwelt ihnen ihr Leiden nicht von außen ansieht, müssen sie es in regelmäßigen Abständen wieder erklären, sich mit ihrer vermeintlichen Schwäche „outen“ und begründen, warum gerade was einfach nicht geht. In diesen Momenten werden oft Ausreden und Notlügen geboren, die die Funktion haben, gegenüber Fremden – aber auch Beka

Kurt Schumacher – Sozialist und Patriot

„Es gibt nicht einmal ein einheitliches Deutsches Reich, sondern nur die Hoffnung auf sein zukünftiges Erstehen.“ „Die Demokratie drückt sich national aus in dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.“ „Wir tun unsere Pflicht der nationalen Selbstbehauptung auf jedem Gebiet gegenüber jedermann.“ Hätten Sie die drei Zitate zuordnen können? Drei Sätze, die dem, der sie geäußert hat, heutzutage vermutlich binnen weniger Stunden zumindest einen Rechtspopulismus-Vorwurf bis hin (je nach Partei) zu einem vorläufigen Ende der politischen Karriere einbringen würden. Stammen tun die zitierten Aussagen von Kurt Schumacher – 1930 bis 1933 Reichstagsabgeordneter der SPD, zu Zeiten des Dritten Reiches inhaftiert in mehreren Konzentrationslagern, ab 1946 bis zu seinem Tod im Jahre 1952 Parteivorsitzender der SPD. Das erste Zitat entstammt seinem Text „Konsequenzen deutscher Politik“ vom Juli 1945; die anderen beiden einer Rede vor Mitgliedern der FDJ in West-Berlin am 17. August 1951 (vgl. Bra