Toleriert Facebook Tierquäler-Videos?

Stellen Sie sich vor, jemand würde wahlweise Ihr kleines Kind oder Ihren Hundewelpen fesseln, immer wieder bis zur Erschöpfung ins Wasser werfen und wieder an Land schwimmen lassen, in krabbelnde Ameisenhaufen werfen, saure Milch zu trinken geben, Zigaretten auf der Haut ausdrücken, minutenlang in dunkle Kisten sperren, den Kopf bis zur Atemnot in einen aufgerissenen Fußball oder eine aufgeschnittene Plastikflasche klemmen, mit einem anderen Menschen bzw. Tier zusammenbinden, unter einem Stein oder Stuhl festklemmen, die Brust bis zum Würgen zusammenquetschen, von seinem großen Hund jagen und beißen lassen, Seife in die Augen reiben, durch Waterboarding fast ertrinken lassen oder zwangsweise extrem scharfe Peperoni zu essen geben. Jeder, der sich derlei praktisch vorstellt, dürfte mit Entsetzen auf derartige Vorstellungen reagieren. Auf sozialen Netzwerken wie insbesondere Facebook ist zumindest manches davon bis heute Realität, allerdings nicht für Menschen und Hunde, sondern: Für Affenbabys.

Verstörende Recherchen

Es begann damit, dass der Autor dieser Zeilen – erklärter Science-Fiction-Fan und eben Soziologe – durch die (wohlgemerkt alte!) Filmreihe „Planet der Affen“ ein besonderes Interesse am teils sehr menschenähnlichen Verhalten von Affen entwickelte. Faszinieren taten mich insbesondere die oft sehr menschenähnliche Gestik und Mimik, in denen man bei genauerer Beobachtung viele humane Muster wiedererkennen kann: Etwa das Zähne-Zeigen als Zeichen an das Gegenüber, dass man nichts Böses im Schilde führt, als eine Art Zeichen des Friedens, woraus das menschliche Lächeln entstanden sein könnte. Meine faszinierte Recherche führte mich erst zu YouTube-Naturvideos, dann zu Facebook. Und dann wurde es langsam verstörend.

Dutzende von gut besuchten Facebook-Seiten mit harmlos und verspielt klingenden Namen („Monkey MiMi“ oder ähnliches), die laut Bildern und Beschreibung scheinbar niedliche Tiervideos mit kleinen Äffchen zeigen, entpuppten sich bei genauerem Hinsehen als Plattformen für sadistische Tierquälerei, in denen insbesondere Affenbabys für Aktionen wie die oben beschriebenen herhalten müssen. Beheimatet sind diese Seiten in den meisten Fällen irgendwo in Südostasien, vor allem wohl Raum Indonesien. Im Kommentarbereich übertreffen sich hunderte von Nutzern in ausgeprägten Hasstiraden gegen die Jungtiere – sogenannte „Monkey Hater“, ein Phänomen, das erstmals vor etwa einem Jahr durch eine BBC-Reportage breitere Aufmerksamkeit erhielt.

Eindeutige Tierquälerei

Der britische Sender entlarvte dabei einen insbesondere, aber nicht nur in Asien agierenden Ring von Affenfolterern, die für Geldspenden insbesondere Babyaffen alle möglichen Grausamkeiten antun. Grausamkeiten, von denen die oben beschriebenen noch die harmloseren sind: In Extremfällen wurden Babyaffen lebendig gekocht, geschlagen, mit Säure übergossen; es wurden ihnen die Augen ausgestochen oder sie wurden an eingeschaltete Ventilatoren gebunden. Der sadistischen Fantasie der Zuschauer schienen keine Grenzen gesetzt zu sein, und die Geldgier der zumeist asiatischen Besitzer wirkte offenbar in vielen Fällen komplett enthemmend.

Besonders brutale Videos werden auch auf Facebook nicht veröffentlicht (diese kursieren scheinbar eher in allerlei privaten Grüppchen auf Telegram und anderswo), wohl aber findet man dort – immer noch – nahezu massenhaft „Light“-Versionen der Tierquälerei, zumeist so, dass der Tierquäler selbst nicht zu sehen ist und aus den Videos nicht direkt hervorgeht, dass eigentlich der Mann hinter der Kamera für den quälenden Zustand des Tieres verantwortlich ist. Man sieht dann beispielsweise einfach „nur“ einen Babyaffen, der verzweifelt in einem See gegen das Ertrinken kämpft, aber eben nicht, wer ihn da hineingeworfen hat und immer wieder neu hineinwirft. Der Urheber des Videos ist dadurch fein raus, und das schlimmste: Facebook scheint die besagten Videos trotz zahlreicher Meldungen weiterhin zu dulden. Der Autor dieser Zeilen hat, wie viele andere entsetzte Nutzer, die mittlerweile gegen das Phänomen mobilisieren, in dutzenden Fällen die Option „Melden wegen Misshandlung von Tieren“ betätigt – und immer wieder nur nach einigen Stunden von Facebook die automatisierte Meldung zurückerhalten, dass man das jeweilige Video nicht entfernt habe. Vorgänge, die Macher entsprechender Videos durchaus motivieren dürften, mit ihren unseligen Aktivitäten fortzufahren. Die Tierrechtsorganisation „Lady Freethinker“ hat deswegen mittlerweile eine an Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gerichtete Petition gestartet, die fordert, derartiges Material endlich zu entfernen und die hier unterschrieben werden kann und sollte: https://ladyfreethinker.org/sign-remove-animal-cruelty-from-facebook/ (Hinweis: Eine Geldspende ist für das Unterzeichnen der Petition nicht erforderlich.)

Genetische Dispositionen?

Es sei an dieser Stelle bewusst darauf verzichtet, entsprechende Facebook-Seiten – und sei es auch nur zu Dokumentationszwecken – zu verlinken. Es dürfte auch wenig Sinn haben, da diese nach einer gewissen Zeit doch immer mal wieder entweder gelöscht werden, aber dann wieder unter anderem Namen und Link neu auftauchen – vermutlich nicht wegen Maßnahmen von Facebook, sondern als Taktik der Seiteninhaber, die scheinbar teilweise mehrere Konten zugleich nutzen.

Die Frage nach den psychologischen Ursachen für das Phänomen dürfte dabei ein Rätsel für sich sein: Verfolgt man die Kommentare der „Hater“, so kristallisiert sich eine bemerkenswert exklusive Fokussierung auf Jungaffen heraus, im Zuge derer die Betreffenden Tierquälerei etwa gegenüber Hunden, Katzen oder Vögeln klar ablehnen, sie aber im Falle von Affenbabys geradezu genießen. Ein Phänomen, das ebenso faszinierend wie verstörend ist und anthropologische Fragen aufwirft: Ist die Antipathie gegenüber derlei Tieren womöglich ein genetischer, tiefsitzender Ur-Instinkt, der aus einer Art urzeitlicher Rivalität zwischen Affen und dem entstehenden Menschen oder seiner Vorformen entsprang? Sind es womöglich gerade jene Charaktere, die sich dann als Naturwissenschaftler mit Tierversuchen an Affen im Labor ausleben können, ähnlich dem Phänomen, dass die meisten klinischen Psychopathen in der Berufsgruppe der Chirurgen zu finden sind (wo die Psychopathie gewissermaßen „konstruktiv“ und legal ausgelebt werden kann)?

Enthemmung im Internet 

Klar ist: Die Enthemmung, die durch die Anonymität des Internets eintritt, fördert tatsächlich psychologische Abgründe zu Tage, die wiederum völlig neue psychologische, soziologische und anthropologische Forschungsfragen aufwerfen dürften. Aber eben auch Abgründe, auf die sich unsere Aufmerksamkeit richten sollte, ehe sie durch geld- und deswegen klickgierige Social-Media-Konzerne auch noch kultiviert und verschärft werden.

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