Wo ist der Anstand geblieben?

Eine persönliche Bestandsaufnahme


Es ist einige Tage her, als ich davon hörte, dass kürzlich (als Nachrückerin) die erste gehörlose Abgeordnete in den Bundestag eingezogen ist. Die SPD-Politikerin Heike Heubach wird künftig über Gebärdensprachen-Dolmetscher die Sitzungen verfolgen und wohl auch auf diese Weise ihre eigenen Reden halten. Als Politiker, der selbst eine Behinderung hat, interessierten mich die öffentlichen Reaktionen darauf – und mich reizte auch die Neugier darauf, ob es dazu tatsächlich die so oft beschworene „Hassrede“ geben würde oder ob sich diese Befürchtung eher als Phantom entpuppt.

Was ich dann unter den Postings der größeren Medien auf Facebook zu der Nachricht an Kommentaren las, übertraf meine schlimmsten Erwartungen. Stellenweise zwar positive Kommentare, zu mindestens fünfzig Prozent aber Kommentare, die entweder aus schlechten Witzen über Gehörlose bestanden oder aber aus geiferndem Gezeter darüber, was diese ganzen Dolmetscher denn alle „den Steuerzahler kosten“ würden. Den traurigen Gipfel dieser verbalen Hass-Exzesse bildeten unter anderem Tiraden darüber, dass derlei ja „des Parlaments unwürdig“ sei. Irgendwann klickte ich die Seiten angewidert weg.

Es gibt auch echte „Hassrede“

Ich bin, was politische Meinungsäußerungen angeht, entsprechend des Ansatzes meiner Partei sehr freiheitlich: Auch Polemik darf mal sein, auch Überspitzung oder böser Humor. Aber: Es ist ein Unterschied, ob die scharfzüngige Polemik etwa einem verurteilten Messerstecher oder einem linksextremen Politiker gilt, oder aber einem Menschen, der einfach eine körperliche Einschränkung hat, für die er nichts kann und wegen der er erst recht nicht ausgeschlossen werden darf.

Man muss konstatieren: Ja, vieles, was in sozialen Netzwerken als „Hassrede“ gebrandmarkt wird, ist zwar oftmals keine, sondern eher ein Etikett seitens der Cancel Culture zwecks Diskreditierung (wenn man etwa an Fälle denkt, bei denen jemand gecancelt wird, nur weil er sagt, dass es nur zwei Geschlechter gibt). Aber: Die „echte“ Hassrede gibt es eben auch – und zwar nicht zu knapp. Und das ist ein Problem, das alle angeht. Auch „uns“.

Ich bin seit 2020 wieder Mitglied des Rates der Stadt Bielefeld, als rollstuhlfahrender AfD-Vertreter. Ich bin dankbar, dass es eine Rampe zum Rednerpult gibt, und dass das Rednerpult auf meine Sitzhöhe absenkbar ist, finde ich noch besser. Und ich fände es auch dann gut, wenn nicht ich selbst einen Vorteil davon hätte, sondern ein Ratsmitglied einer anderen Partei, welches darauf angewiesen ist. Menschen mit Behinderung bilden einen signifikanten Teil der Bevölkerung, der auch in Parlamenten repräsentiert sein darf und sollte. Und ja: Das muss man sich dann auch mal etwas kosten lassen. Denn auch eine gehörlose Abgeordnete, von welcher Fraktion auch immer, hat sich ihr Schicksal nicht selbst ausgesucht, hat aber als Bürgerin genauso das grundgesetzlich verbriefte Recht, sich wählen zu lassen, und hat als Volksvertreterin legitimen Anspruch darauf, sich artikulieren zu können und die Artikulationen der anderen mitzuverfolgen. Wenn das den Steuerzahler ein paar Euro mehr kostet, dann ist das eben so. In einem Land, in dem sich kaum noch wer über Millionen-Boni für unfähige Topmanager aufregt, sollten derlei Peanuts eigentlich nicht ins Gewicht fallen.

Toxische Charaktere

Doch neben dieser inhaltlichen Diskussion, die man eigentlich gar nicht mehr sollte führen müssen, beschäftigt mich seit der Lektüre dieses zeternden Geifers noch etwas anderes: Nämlich unsere eigene Rolle als AfD dabei. Eine realistische Bestandsaufnahme dessen, was man da in den letzten Tagen hat lesen müssen, muss auch anerkennen, dass vermutlich nicht wenige dieser „Unzufriedenen“, die sich da ausgelebt haben, auch ihr Kreuz bei uns machen, denn wer politisch massiv unzufrieden ist, wählt nun einmal tendenziell in diesen Tagen primär AfD (ansonsten eventuell noch BSW) oder gar nicht.

Ich bin jedoch – so direkt bin ich jetzt mal – nicht für die AfD aktiv geworden, um einen geifernden Mob zu vertreten, der, getrieben von emotionalen Affekten, anonym im Netz seinen (oft vermutlich durch persönliche Frustration begründeten) Hass auslebt. Ich bin für diese Partei aktiv, weil ich an konservative Prinzipien glaube: An den Wert von Familie, Ehre, Glaube und Disziplin, an das Prinzip der Selbstbestimmung des Volkes und der nationalen Souveränität, an Patriotismus und an Liebe zum eigenen Volk und zur eigenen Identität. Und das bedeutet: Liebe zum Eigenen – nicht Hass auf das Fremde oder das Andere. Hass gehört nicht zu meinem politischen Vokabular. Und ich dulde auch keine toxischen Menschen in meinem Umfeld, bei denen das anders ist – egal, ob es sich nun um mein privates oder um mein politisches Umfeld handelt. Andernfalls muss entweder die betreffende Person gehen oder ich. Keine Kompromisse in diesem Punkt.

Dazu muss man sagen, dass ich bisher in der AfD selbst derlei noch nie erlebt habe – keinen einzigen behindertenfeindlichen Spruch und auch kein derartiges Verhalten. Hier widerspricht vermutlich die Realität der allgemeinen Deutung des linksliberalen Establishments: Die AfD ist eben keine rechtsextreme Partei, sondern eine, in der verschiedenste gesellschaftliche Gruppen – Behinderte, Homosexuelle, Leute mit Migrationshintergrund – zuhause sind. Was sie eint ist, dass sie Deutschland lieben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in Teilen der Anhängerschaft – also nicht der Aktiven oder der Mitglieder, aber bei einem (hoffentlich kleinen) Teil der Wähler – Menschen gibt, die von ihren eigenen negativen Trieben gesteuert werden und nicht von positiven Gestaltungswünschen, Idealen und Prinzipien.

Der Ton macht die Musik

Man macht es sich zu leicht, wenn man angesichts dieser enthemmten, kleinen, aber lauten Gruppe, die ja immerhin mit ihrem Verhalten auch konstant alle aufrichtigen Konservativen in den Dreck zieht, beständig mit den Schultern zuckt und sagt: „Ja, so sindse halt, was solls, die Altparteien sind schuld.“ So einfach sind die Dinge nicht.

Auch wir als Partei haben eine Verantwortung für den Diskurs in unserem Spektrum und vor allem: für dessen Tonlage. Ich würde so weit gehen zu behaupten, dass es oft sogar eher diese Tonlage ist als irgendwelche offiziellen Partei-Verlautbarungen, die es regierungsgesteuerten Behörden wie dem VS am Ende leicht machen, uns zu etikettieren. In den Gutachten mag zwar auf politische Stellungnahmen abgestellt werden, aber für den Normalbürger ist die Tonlage im Alltagskontakt entscheidend. Wenn man im Alltag „die AfDler“ (d. h. auch deren Wähler) allzu oft nur als dauernegative Zeterer kennenlernt, dann hat das einen viel nachhaltigeren Effekt auf die öffentliche Wahrnehmung als abstrakt-programmatische politische Statements, die in VS-Gutachten zitiert werden, die sowieso kein Normalbürger liest.

Wenn in sozialen Netzwerken (u. a.) Menschen mit Behinderung, gehören sie nun der SPD an oder einer anderen Partei, mit einem solchen Ausmaß an Geifer und Häme überzogen werden, dann bestätigt das ungewollt all jene Linken, die ständig vor Hassrede warnen und den Begriff eigentlich nur für ihre eigene Zensurpolitik nutzen wollen, und sabotiert zugleich unsere eigenen Bemühungen, den Irrsinn der Cancel Culture deutlich zu machen. Der Kampf gegen Cancel Culture kann aber nicht bedeuten, jede noch so geschmacklose verbale Vomitation im Netz zu dulden und zu tolerieren.

Konservatismus bedeutet auch Disziplin

Wer sich selbst konservativ nennt, der steht damit auch ein für konservative, „preußische“ Werte: Für (Selbst-)Disziplin und Zügelung, für Höflichkeit und Zuverlässigkeit, für Anstand und Gerechtigkeit – auch gegenüber politisch Andersdenkenden. Konservative stehen nicht für einen geifernden Mob, der feige-anonym im Netz jeden noch so geschmacklosen Joke in die Welt rotzt, nur um seinen Hass auf die Ampel ausleben zu können, so berechtigt (auch harte) Kritik an dieser Regierung ist. Wo soll dies enden? Was soll langfristig das Ergebnis all dieser gesellschaftlichen Spaltung sein? Wie sollen wir als Demokratie je wieder zusammenkommen, bei dieser Form der Zerrüttung? 
 
Es ist wichtig, weiterhin hart in der Sache zu bleiben. Mindestens ebenso wichtig ist es aber, in der Tonlage die Wogen auch wieder glätten zu können. Wer das nicht kann, wer nur die hämmernde Trommel des Populismus beherrscht, aber nicht den melodischen Teil des Gestaltens und des Zusammenführens, der wird im Orchester der Regierung scheitern.

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