Ukraine-Krieg und Star-Wars-Dualismus

Seit dem 24. Februar dominieren sie wieder das Bild in den sozialen Netzwerken: Die Flaggen auf Profilbildern. Dieses Mal: Blau und Gelb. Sie zieren verschiedenste Fotos, die es meist vorher schon gab. Schnell wurde dann eines – vermutlich bereitgestellt durch irgendeine App – hinzugefügt, was das gleiche Motiv, jedoch ergänzt durch die blau-gelbe Flagge enthält. Volle Solidarität durch Mausklick oder wenige Berührungen eines Touchscreens. Zugleich: Lob und Wohlwollen durch das ähnlich tickende soziale Umfeld, das umgehend liked und positiv kommentiert.

Die Restmotive auf dem Bild sind dabei erstaunlich vielfältig. Menschen, die im Schlabbershirt auf einem Campingstuhl sitzen, Jahre zuvor aufgenommen, vermutlich zu einer Zeit, zu der der Abgebildete nicht hätte sagen können, ob „Mariupol“ eine Stadt ist, ein Computerspiel oder eine Metal-Band. Das Bierchen in der Hand, die Sonnenbrille auf, und nachträglich die Solidarität erklärt. Mal eben so. Vom Campingstuhl aus, Jahre zuvor. Aha.

Eine Botschaft, die in die Postmoderne passt: Man kann engagiert sein und dabei unverbindlich bleiben. Selbst tiefsinnige Botschaften lassen sich mit wenigen Klicks wieder entfernen, als hätte es sie nie gegeben. Alles, was vorher war, was morgen unangenehm sein könnte, kann morgen wieder verschwunden sein, und kaum jemand würde sich daran erinnern, weil es ja ohnehin nur kurzes, zaghaftes Aufflackern dessen war, was früher mal, im vergangenen und nun wohl wiederkehrenden Zeitalter der Verbindlichkeit und der großen Entwürfe körperlichen Einsatz erfordert hätte.

Man hätte rausgehen müssen. Die Stimme erheben müssen. Mindestens ein Transparent malen und hochhalten. In diesem Fall ja eigentlich: Selbst in den Krieg ziehen müssen. Ohnehin: Eine Paradoxie. Wie können Menschen es auch nur eine Sekunde mit sich selbst vereinbaren, leidenschaftlich und mit flammender Freiheitsrhetorik „schwere Waffen“ für ein Land zu fordern – Gerätschaften also, die zum Töten gedacht sind –, sich aber selbst nicht persönlich dafür vom Fleck zu rühren?

Eine Antwort darauf mag in einem Science-Fiction-Epos der 70er Jahre liegen, der seit 20 Jahren wieder eine Renaissance erfährt: Star Wars. Kein Geringerer als der FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann rechtfertigte doch kürzlich tatsächlich die Ukraine-Solidarisierung mit einem Vergleich mit den Jedi-Rittern, die sich in der Galaxis für das Gute, den Frieden und die Freiheit einsetzten.

Da sitzt nun also dieser unscheinbare liberale Mittvierziger mit seiner Hipster-Brille popcorn-essend vor einem Star-Wars-Film, um am nächsten Tag über Krieg und Frieden mitzuentscheiden. Man kann es sich lebhaft vorstellen, wie der unscheinbare Marco in seinen Träumen über Nacht zum Luke Buschwalker wird – und dann auf der todsicheren Grundlage seiner Hollywood-geschulten Transatlantiker-Denke die weitere Eskalation des Konfliktes und die vermehrte deutsche Involvierung in diesen mit beschließt. Früher einmal lasen Staatsmänner Goethe, Nietzsche oder Jünger, um geistig an ihnen zu wachsen. Heute tun es Filme von George Lucas. Müssen wir uns da wirklich noch über die Qualität heutiger Politiker wundern?

Doch jedes Volk bekommt die Politiker, die es verdient. Schließlich – man denke an den biertrinkenden ukraine-solidarischen Camper – macht es den Politikern ja vor, wie einfach heute die Entscheidung von Richtig und Falsch sein darf, wie leicht man ein guter Mensch werden kann. Der Deutsche von heute schätzt die digitalisierte Unverbindlichkeit, und dies – psychologisch nachgewiesen – mit je mehr Glücksgefühlen, umso mehr die unverbindliche Botschaft „geliked“ wird. Die Algorithmen der Konzerne aus dem Silicon Valley belohnen stets die affektiven Botschaften derjenigen, deren Gefühl von Richtig und Falsch durch die Konzerne aus Hollywood ansozialisiert wurde. Big Tech und Big Entertainment – both made in USA – handeln Hand in Hand, und der kleine Mann und folgsame Jünger (oder eben: der Bundesjustizminister) auf der anderen Seite des großen Teichs – nun, der ist, mit Luhmann gesprochen, die strukturelle, aber auch operative Kopplung zwischen diesen beiden Subsystemen der Global Governance.

Ein Modell, das attraktiv ist: Beruht es doch stets auf der durch Hollywood meist bemühten dualistischen Logik von „Gut“ gegen „Böse“, die auch Star Wars geradezu perfektioniert hat (Putin als Imperator, Lawrow als Darth Vader? Die Sith-Lords des epischen Kampfes Gut gegen Böse?). Dualistische Denklogik, getränkt in giftigem, aber wohlschmeckendem Moralin, ist äußerst anschlussfähig, da schnell begreifbar auch für schlichte oder eben schlicht sozialisierte Gemüter. Dies galt schon bei George „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ Bush Junior im Jahre 2003, als er mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf den Irak kaum anders vorging als der heutige Imperator „Palputin“, natürlich ohne dass es daraufhin Sanktionen gegen ihn, seine Familie, sein Land und seine Oligarchen rund um die Konzerne Halliburton, Carlyle und Co gab. Manche völkerrechtswidrigen Kriege sind eben weniger schlimm als andere, selbst wenn sie und ihre Folgen genauso blutig ausfallen. Haben Sie das etwa noch nicht kapiert? Nein? Nun, dann besteht noch Hoffnung für Sie.

Die dualistische Logik macht ihn eben auch zu „unserem“ Krieg. Wieder einmal wird Deutschland zwar nicht am Hindukusch, aber dennoch ganz weit weg verteidigt, wieder einmal sind wir zwar nicht „alle Amerikaner“ (Gerhard Schröder nach 9/11), aber jetzt eben „alle Ukrainer“. Wieder einmal müssen wir jetzt unbedingt ganz schnell etwas tun, und zwar sofort, hurtig, und wenn nicht, gibt’s Haue vom Pöbelbotschafter. Langfristiger Plan? Strategisches Ziel? Exit-Optionen? Nicht vorhanden. Erst einmal machen, denn der große Bruder hat es angeordnet, und dem Regierungschef der souveränen Bundesrepublik in Ramstein zu verstehen gegeben, dass er sich von ihm einen Kurswechsel wünscht, der dann vom Regierungschef der souveränen Bundesrepublik auch Stunden später prompt geliefert wurde. Die von transatlantischen Seminaren und Stipendien geförderten Medienmacher applaudieren, betonen „unsere moralische Verpflichtung“ und dergleichen, onanieren sich ihre eigene staatstragende Hybris hoch und runter, in orgasmischer Vorfreude auf den Schuss der gelieferten „schweren Waffen“.

Doch so wie das Abenteuer Afghanistan im Sommer 2021 auf geradezu erbärmliche Weise endete, so wird auch dieses vom moralischen Feuereifer getriebene Abenteuer irgendwann an sein Ende kommen: Mit dem Kater nach der Orgie des neuen Rüstungswahns, mit der Erkenntnis, dass dieser Imperator in Moskau eben nicht von einem Jedi-Helden in den Abgrund gestoßen wird und der Spuk dann vorbei ist, sondern dass man sich mit ihm wird arrangieren, dass man mit ihm wird verhandeln müssen.

Was tut dann unser Held im Campingstuhl? Ob die Flagge dann noch im Bild sein wird? Ob das Bild klammheimlich entfernt oder unsichtbar gemacht wird? Ob es in der Reihe, gleich hinter „Charlie Hebdo“ und all den anderen früheren, unverbindlichen Solidaritätsadressen, auf sichtbare Weise langsam unsichtbar wird, da der Besucher aus Gründen des Desinteresses so weit ohnehin nicht nach unten scrollt?

Wo wird sie versacken, diese ganze Solidarität, die Brüderlichkeit, die neuen Liebeserklärungen zwischen zwei Völkern, die ihre Stabilität aus der neuen Abneigung gegenüber einem dritten ziehen? Vermutlich wird sie vergessen werden, und eben deswegen wird schließlich die Empörung groß sein, wenn die Hybris von heute nicht zu Erfolgen von morgen führt. Viele werden es dann wohl schon immer besser und die ganze Zeit über besser gewusst haben. Das ist eben das Bequeme am Affekt: Er bleibt nicht lange. Die Folgen aber – die hallen lange nach, und zwar noch dann, wenn man sich schon gar nicht mehr an die eigenen Affekte erinnert. Aber wen kümmert es? Das Gewissen jedenfalls nicht. Dem geht es blendend – dank Hollywood, dank Big Tech, und dank zwei neuer Farben im Profilbild. Welch schöne neue Welt, in der man so schnell und so einfach zum Helden mit Zivilcourage und der richtigen „Haltung“ werden kann.

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