Die Lebensenergie Chi als Manifestation des All-Einen


Unitarisches Denken und taoistische Konzepte


Das aus dem chinesischen Taoismus stammende Konzept des Chi (modern: Qi) ist vielen insbesondere aus Kampfkunst-Disziplinen wie Tai Chi oder Shaolin Kung Fu sowie aus dem Chi Kung (Qi Gong), einem Konzept der Bewegungsmeditation und zugleich einem Vorläufer von Tai Chi, bekannt. In vielen spektakulären Auftritten von Kampfsportlern wurde die Macht des Chi etwa dadurch präsentiert, dass diese vor laufenden Kameras Holzblöcke oder Backsteine zerschlugen. Zugleich ist Chi eine Art Grundkonzept der traditionellen chinesischen Medizin, auf dem auch die oben genannten Disziplinen basieren (weswegen sie mehr sind als lediglich „Kampfkünste“ – vielmehr sind sie auch physische und mentale sowie spirituelle Fitnessprogramme, teils sanft und für jedes Alter nutzbar, teils auch härter und fordernder).

Yin und Yang im Taoismus

Nach taoistischer Vorstellung ist alles Lebende von jenem Chi, der Lebensenergie, durchdrungen. Diese kann dabei nicht durch westlich-empirische, schulmedizinische oder sonstige naturwissenschaftliche Konzepte „übersetzt“ werden: Chi symbolisiert eine metaphysische Lebenskraft, die nicht nur allem Lebenden innewohnt, sondern die auch sowohl harmonisch verlaufen als auch in Disharmonie gebracht werden kann. Im letzteren Fall drohen Krankheit und schließlich, sollte der Fluss des Chi enden, der Tod. Das berühmte taoistische Yin-Yang-Symbol spielt hier ebenfalls eine entscheidende Rolle: Wo Yin (die dunkle Seite) und Yang (die helle Seite) in Harmonie zueinander sind, wie das Symbol darstellt, befindet sich das Chi in Fluss. Hier herrscht Leben. Wo eine Seite überwiegt, entsteht Disharmonie.

Yin und Yang assoziiert zunächst einen Dualismus, bei dem Unitarier – also Menschen, in deren Glauben das Konzept der Einheit dominiert – erst einmal zusammenzucken. Erscheint diese Unterscheidung doch auf den ersten Blick typisch dualistisch: Das, was ist, wird in das „Helle“ und „Dunkle“, „Gut“ und „Böse“, „Jenseits“ und „Diesseits“ aufgespalten. Eine Vorstellung, die einem aus den Dualismen der monotheistischen Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam nur allzu bekannt vorkommt.

Und doch ist es eben schlimmstenfalls ein „halbierter“ Dualismus, welcher diesen zwar in seiner „Diagnose“ zunächst zu erkennen glaubt, welcher die beiden Seiten der Unterscheidung aber auf seiner normativen, ethischen und lebenspraktischen Ebene in ein grundlegend anderes Verhältnis rückt als es die Monotheisten tun! So begreift der Taoist das Dunkle eben nicht als etwas zu Verwerfendes, als Widernatürliches oder zu Eliminierendes, nicht als „Jammertal“ oder als sündig, sondern als etwas, was angenommen und akzeptiert und, wie das Yin-Yang-Symbol aufzeigt, mit der hellen Seite in Harmonie gehalten werden muss, damit beides im Fluss gehalten und damit Leben erhalten werden kann. Die taoistische Unitas ist die harmonische Verbindung beider Seiten der Yin-Yang-Unterscheidung. In der normativen Dimension sind Taoisten und Unitarier sich einig.

Die indogermanischen Zwillingsgötter

Und schließlich kennen auch Unitarier Dualismen, wie unser eigenes Symbol aufzeigt, indem es die germanische Rune Alhiz / Algiz in zwei verschiedenen, einander entgegengesetzten Varianten zeigt und diese vor der lebensspendenden Sonne vereint – die Dualität, die eigentlich eins ist und dadurch Leben schafft, begründet und erhält. Unser unitarischer Bundesbruder Ralf Kaiser hat in einem klugen Aufsatz beschrieben, wie die antiken Dioskuren, die indogermanischen Zwillingsgötter Castor und Pollux, diese „Einheit der Dualität“ widerspiegeln. Sie repräsentieren dabei Schwarz und Weiß, Sterblichkeit und Unsterblichkeit, entsprechend auch den indischen Asvins – oder eben dem chinesischen Yin und Yang.

Die unitarische Symbolik wie auch eben jene antiken, indogermanischen Symbolgestalten zeigen allzu deutlich auf, wie das Göttliche eben nur durch das harmonische Gleichgewicht beider Pole denkbar ist bzw. dass es eben dort in seiner heiligsten Ausprägung zu Tage tritt, wo es sich in Harmonie befindet. Dieser Punkt wird auch und gerade dann sichtbar, wenn man sich den unitarischen und den taoistischen Blick auf die Natur als Raum des Lebenden vor Augen führt. Wo Leben ist, da ist Chi. Wo sich Leben im Ausgleich mit der Natur befindet, wo Leben in die Natur eingebettet ist und diese respektiert, wo Leben mit der natürlichen Umwelt harmoniert, da ist auch das Chi in Harmonie und im Fluss. Die Natur ist für beide Denkrichtungen ein wichtiger Maßstab, um die Nähe und das Eingebettet-Sein im göttlichen All-Einen in seinem Ausmaß zu ermessen und zu bestimmen.

Im Einklang mit der Natur

In taoistisch inspirierten Disziplinen wie dem Shaolin Kung Fu spiegelt sich dies insbesondere in den Vorbildern für die einzelnen Bewegungslehren und Stile wider. Die Vorbilder sind die Tiere der freien Natur, wobei etwa die Schlange für Dehnbarkeit steht, der Tiger für Standfestigkeit und Kraft, der Leopard für Schnelligkeit, der Kranich für Konzentration und Timing und der Drache für die spirituelle, mentale Dimension. Die Shaolin-Mönche wissen dadurch, dass „moderne“ Leiden wie Verspannungen, viele Gelenk-Erkrankungen oder Stresssymptome Phänomene der industriellen und postindustriellen „Zivilisation“ sind, die in der freien Natur kaum vorkommen, da das Leben dort in der Regel in Harmonie mit den natürlichen Anlagen stattfindet. Im Kung Fu wird daher versucht, in den vielfältigen (längst nicht nur kampfsportlichen) Übungen diese physische und mentale Harmonie wiederherzustellen.

Im Tai Chi sind die dabei üblichen Bewegungen stets kreisförmig bzw. rund, wodurch verhindert wird, dass Energie verloren geht. Die Bewegungen sollen die Harmonie des All-Einen in sich widerspiegeln und in den kreisrunden, dadurch harmonischen Fluss bringen. Der Körper harmoniert so mit dem Geist und seinen Bedürfnissen; beide Seiten nähern und passen sich einander an. Dadurch wird ganzheitlich (statt einseitig) an der Einheit und damit am Wohl von Körper und Geist gearbeitet. Das Resultat ist physische und psychische Gesundheit. Im Feng Shui schließlich geht es um die Dimension der physischen Umwelt, etwa im Bereich des Wohnens, wo ebenfalls auf die harmonische Einrichtung von Gegenständen und Möbeln wertgelegt wird. Dies begünstigt die energetische Harmonie im unmittelbaren Umfeld.

Die politische Ebene

Wer im Einklang mit der Natur lebt, lebt gesünder. Dies bezieht sich in der Konsequenz auch auf die Notwendigkeit, Störungen des harmonischen Verhältnisses von Körper und Geist zu vermeiden – auch solche, die vielleicht zunächst, in trügerischer Weise, einen kurzfristigen Vorteil zu versprechen scheinen. Man denke hier vor allem an Drogen, an Medikamente und chemische Suchtmittel, auch an legale Substanzen wie Nikotin oder Alkohol, an allerlei Formen industrieller Chemie, die unseren Körper vergiften können, indem sie den Fluss des Chi stören. Gleiches gilt auch für entsprechende psychische Einflüsse: Seien es massenmediale Überreizung, die tausende Kinder und Jugendliche in Zivilisationskrankheiten wie ADHS und andere Konzentrationsstörungen geführt hat; seien es die Versprechungen und die Illusionen einer dekadenten Konsumgesellschaft; seien es übersexualisierte oder übermäßig gewalttätige Unterhaltungs- und Medieninhalte.

Hier kommen wir nun auch zur – mittlerweile – unwillkürlich politischen Ebene der physischen und mentalen Gesundheit: Harmonischer Fluss des Chi bedeutet eben zugleich auch, mit sich selbst, mit seinem Geist, seinem Körper, seinem Geschlecht, seiner Sexualität im Reinen zu sein. Wo dies nicht der Fall ist, lässt sich vermuten, dass viel grundlegendere Probleme vorliegen als lediglich der Eindruck, „im falschen Körper zu sein“. Wo der eigene Körper als solcher nicht willkommen ist, da ist die eigene Lebensenergie in Disharmonie. Und dieses Problem wirkt sich in derlei Fällen dann auch in ganz anderen Lebensbereichen negativ aus. All dies kann dann in eskapistische Tendenzen münden, die von der postmodernen, hyperindividualisierten Gesellschaft noch bestärkt werden.

So viel zur „Mikro-Ebene“ des Individuums. Doch auch auf der „Makro-Ebene“ der Gesellschaft gelten die oben beschriebenen Erkenntnisse. Zur Natur des Menschen wie der des Tieres gehört es auch, in Familien, auf kollektiv bewohnten Territorien und in Völkern zu leben, sich kollektiven Identitäten zugehörig zu fühlen. Es ist daher durchaus nicht überzogen, das Recht auf kollektive Identitäten zu einem Menschenrecht erklären zu wollen. Entspricht es eben einem völlig natürlichen Bedürfnis, und wer diesen natürlichen Zustand in globalistischer Manier durch Entnationalisierung, Globalisierung und Massenmigration zu zerstören trachtet, handelt nicht nur politisch unvernünftig und ethisch falsch, sondern versündigt sich auch an der Natur des Menschen, trägt gar dazu bei, dass er ihn krank macht, über die Atomisierung des Gemeinschaftlichen, über Hyperindividualisierung und gesellschaftliche Zersplitterung und Anomie, über Disharmonie und Störungen einer göttlichen Lebensenergie, die nur fließen kann, wenn der Einzelne in Harmonie mit sich selbst und mit dem Ganzen und ihren kollektiven Untereinheiten ist.

Das Göttliche entfalten – Ein unitarischer Auftrag 
 
Das Göttliche, das in der Lebensenergie zum Ausdruck kommt, zu entfalten, zu fühlen und zu er-leben, es in sich aufzunehmen und es zu atmen zu können, ist an die Bedingung geknüpft, mit sich selbst, mit der Natur, mit seinem Volk, seinen kollektiven Identitäten und der All-Einheit im Reinen zu sein. Nur so kann, taoistisch gesprochen, eben jenes Chi in Harmonie geraten und fließen. Und wo dies der Fall ist, da kommt der Mensch wie auch ein ganzes Volk sich selbst näher und kann seinen eigenen Anteil am Göttlichen entdecken und erkunden, physisch und psychisch gesund. Diesen Prozess zu forcieren und in unserem Volk voranzutreiben, ist Aufgabe eines jeden Deutschen Unitariers, seines Glaubens und Wirkens auf Basis der göttlichen Lebenskraft, die er als solcher in sich gespürt und zu entfalten gelernt hat, als deren Teil er sich als solcher erkannt hat.

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