Über Corona-„Fakten“, Fake News und Verschwörungstheorien


Eine Replik auf die Corona-Beilage der Neuen Westfälischen


In ihrer Ausgabe vom 3. Februar 2021 drehte die Neue Westfälische (NW) richtig auf: Eine mehrseitige Beilage mit „Corona-Fakten“ zierte diesmal das Blatt, eingeleitet durch ein pathetisches Editorial von Thomas Seim höchstpersönlich. Man fühle sich der „Wahrheit verpflichtet“, betitelte der Chefredakteur seine Einleitung. Das zu 100 % der SPD gehörende Blatt, das sich über Jahre hinweg auf der Titelseite wahrheitswidrig als „unabhängig“ betitelte (und noch beispielsweise in seiner Ausgabe vom 1. Februar ein ganzseitiges Interview mit dem SPD-Chef Walter-Borjans brachte, das um ein Biografie-Kästchen mit dem gänzlich unparteiischen Titel „Einsatz für Gerechtigkeit“ überschrieben war), wolle „Falschinformationen“ bekämpfen und seinen Lesern Argumente gegen „Zweifler“ und „Leugner von Fakten“ mitgeben. Die Beiträge, die sich darunter reihen, enthalten in der Tat kaum direkte Lügen. Vielmehr sind sie wieder einmal der beste Indikator für die Diagnose einer „Lückenpresse“, die, wenn sie besonders unter Beobachtung steht, nicht lügt, sondern vor allem einseitig berichtet, also die einen Fakten darlegt, aber andere weglässt – nicht zuletzt durch eine hochselektive Auswahl von Interviewpartnern bzw. Quellen. Grund genug, sich diesem Werk an dieser Stelle einmal genauer zuzuwenden und auf die problematischsten Stellen detaillierter einzugehen.

Covid versus Grippe

Starten wir mit dem Artikel „Covid oder Grippe – welche Krankheit ist gefährlicher?“ von Peter Stuckhard. Der besagte Autor versucht in seinem durchaus bemühten und statistisch informierten Text deutlich zu machen, dass Covid gefährlicher sei als das Influenza-Virus. Nun ist dies aber – auch angesichts der Tatsache, dass Covid ansteckender ist – gar nicht so sehr der Punkt, der von (seriösen) Skeptikern thematisiert wird. Die eigentliche Frage ist dabei vielmehr, ob die (leicht) höhere Gefährlichkeit und Sterblichkeitsrate gemäß WHO es rechtfertigt, deswegen eine komplette Volkswirtschaft für Monate und mit jahrelangen Folgeschäden vollständig lahmzulegen, anstatt einen klugen Risikogruppenschutz zu praktizieren, so wie es die WHO selbst empfohlen hat.

Stuckhard selbst schreibt: „Mehr als 100.000 Sterbefälle in einem Dezember gab es nicht einmal während der Grippewelle 2017/18, sondern zuletzt im Jahr 1969. Damals waren die Sterbefallzahlen im Zuge der Hongkong-Grippe erhöht und es wurden 109.134 Sterbefälle gezählt.“ Wurde 1969 die bundesdeutsche Volkswirtschaft deswegen lahmgelegt? Offensichtlich nicht. Stattdessen gingen kurz vorher noch Linke gegen – potenzielle, also nicht realisierte! – Grundrechtseinschränkungen im Rahmen der Notstandsgesetze in Massen auf die Straße, während sie heute Demonstranten gegen faktisch erfolgende, viel massivere Grundrechtseinschränkungen als „Covidioten“ beschimpfen. So sieht Doppelmoral aus.

Informelle Impfpflicht

Auf derselben Seite tritt einem kurzer Neunzeiler entgegen, der die Grenze zur direkten Lüge zumindest tangiert, auf jeden Fall aber ein Wissen zu haben vorgibt, was er nicht haben kann. So heißt es da: „Behauptung: Es wird eine gesetzliche Impfpflicht geben. Klare Antwort: Nein. Die Impfung gegen das Coronavirus ist freiwillig. Es wird jedoch eine starke Impfempfehlung ausgesprochen, um nicht nur sich selbst, sondern die Gemeinschaft zu schützen.“ Jeder, der sich nur ansatzweise mit den Debatten der vergangenen Tage und Wochen befasst hat, weiß, dass dies bestenfalls die halbe Wahrheit ist. Sofern es auch keine gesetzliche Impfflicht geben wird, so deuten die Zeichen derzeit doch deutlich auf eine informelle Impfpflicht – in der Soziologie würde man es als sozial-normativen Druck bezeichnen. Will heißen: Wir steuern auf eine neue Form der Zweiklassengesellschaft zu, in denen Geimpften Grundrechte „zugestanden“ werden, den anderen aber nicht.

Wer dann künftig seinen (eigentlich mal als kompromisslos gedachten) Grundrechten nachgehen will (reisen möchte, am sozialen und kulturellen Leben partizipieren möchte), muss sich dann impfen lassen, oder es wird ihm eben nicht „zugestanden“. Was bitte ist dies anderes als eine indirekte Impfpflicht, deren künftiges Vorhandensein hier von der NW direkt ausgeblendet wird? Wo bleibt die kritische Berichterstattung über Politiker wie Merkel und Maas, die in letzter Zeit in selbstgerechtester DDR-Manier davon sprachen, Grundrechte den einen „zuzugestehen“, den anderen aber nicht – nicht begreifend, dass Grundrechte eben deswegen Grundrechte sind, weil sie absolut gelten, und nicht weil die Exekutive sie gnädiger Weise der bevorzugten Klientel „zugesteht“. Verhalten wie dieses sagt viel aus über die Selbstsicht, die die Regierungspolitiker mittlerweile pflegen. „Unabhängige“ Presse würde und müsste dieses ebenfalls kritisch thematisieren. Wissenschaftler, gerade kritische Sozialwissenschaftler, übrigens auch.

Das Fehlen von Differentialdiagnosen

Doch dazu später. Zuvor lesen wir, auf der nächsten Seite der Beilage, einen durchaus interessanten und spannend geschriebenen Covid-Erfahrungsbericht von Florian Weyand. Seine subjektiven Erfahrungen mit der Krankheit kann man ihm nicht absprechen, und man nimmt ihm hundertprozentig ab, dass er jeden Satz meint, wie er ihn schreibt. Auch wenn sein Krankheitsverlauf für seine Altersgruppe nicht unbedingt repräsentativ ist – aber derlei behauptet er auch nicht. Weyand hat einen persönlichen Erfahrungsbericht veröffentlicht, der die Beilage durchaus aufwertet. Der Haken liegt woanders: Nämlich im Fehlen einer Kontroll- bzw. Vergleichsgruppe. Ein Fehler, der im öffentlichen Umgang mit Corona und den Horrormeldungen über die damit verbundenen Nebenwirkungen und Langzeitfolgen oft zu beobachten ist.

Unabhängig vom vorliegenden Erfahrungsbericht liest man öfter von einem ganzen Konglomerat an teils altbekannter, teils neuer Symptomatik und an Folgen, an denen Betroffene leiden. Dabei fehlt es jedoch in vielerlei Fällen an einer – aber eben gebotenen – kritischen Hinterfragung, wie sie beim ärztlichen Vorgehen eigentlich normal ist, nämlich in Form von Differentialdiagnosen. Mit anderen Worten: Es gälte zu fragen, woher all diese vermeintlichen Corona-Symptome und -Langzeitfolgen eben noch resultieren könnten – außer Corona. Wer sozialpsychologisch bewandert ist, weiß, dass Phänomene wie Massenhysterie durchaus empirisch real sind, und dies wohl insbesondere nach einjähriger Dauerbeschallung mit medialen Horrormeldungen mit globaler Reichweite. Das Auftreten psychosomatischer Symptome – Depressionen (die übrigens auch das Long-Covid-Symptom „Fatigue“ auslösen können!), Phobien, daraus generierte Konzentrationsstörungen und andere neurologische und neuropsychiatrische Erscheinungen – sind hier eben durchaus nicht unwahrscheinlich.

Zugleich resultiert eben vieles auch aus Folgeschäden: Wer wenig schläft, weil er nächtelang husten muss, ist logischerweise danach wochenlang erschöpft. Das hat Covid nicht für sich gepachtet und ist auch nicht zwingend gleich ein neurologischer Langzeitschaden, sondern ist eine Folge von allen möglichen schwereren Virus-Erkrankungen. Es ist schlicht nicht seriös, hier buchstäblich jede neue Symptom-Meldung Covid zuzuschreiben. Der Autor dieser Zeilen litt vor Jahren an einer schweren Influenza-Erkrankung: Hohes Fieber, starke Gewichtsabnahme, mehrwöchige Erschöpfung waren die Folgen. Es sind zugleich nicht wenige Fälle bekannt, in denen nicht auskurierte Grippeerkrankungen dauerhafte Herzmuskelschäden hervorgerufen haben, die neuerliche Infektionen mitunter selbst für junge Leute zum tödlichen Risiko machen. Der Unterschied: Derartige Symptome und Schäden werden aufgrund eines buchstäblich jahrhundertealten gesamtgesellschaftlichen Gewöhnungseffekts einfach nicht so stark politisch, medial und wissenschaftlich unter die Lupe genommen, wie es beim neuartigen Corona der Fall ist. Wir haben eben einfach gelernt, damit zu leben, anstatt in Massenpanik zu verfallen. Wir starren gebannt auf Corona wie das Kaninchen auf die Schlange – und vergessen völlig, die Beobachtung auch auf einen „Kontroll-Virus“ und seine komplexen Details zu richten, für die wir uns bisher nie derart interessiert haben. Doch erst die Relation schafft eben eine sinnvolle Wahrnehmung und eine gehaltvolle Information.

Eine Grünen-Politikerin als „Expertin“

Auf der letzten Seite der Beilage nähern wir uns nun dem bei weitem problematischsten und einseitigsten Teil der Publikation. Im Großartikel „Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten“ geht es um die schwindende Deutungsmacht der Kirchen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sich immer mehr Christen corona-skeptischen Gruppen zuwenden. Die Hauptproblematik wird im Artikel freilich nicht erwähnt, da sie der politischen Linie der NW zuwiderlaufen würde: Dass die klassischen Kirchen nicht zuletzt deswegen ihre Anhänger verlieren, weil sie sich inzwischen beide nahezu gänzlich im globalistisch-linksliberalen Mainstream bewegen (die seit jeher opportunistischere Evangelische Kirche Deutschlands natürlich noch mehr als die extern gesteuerte Katholische Kirche). Was vermitteln die Kirchen heute noch, was heute nicht ohnehin schon Gegenstand der Dauerbeschallung durch Altparteien und Mainstream-Medien ist? Antwort: Nichts. Religionen jedoch brauchten die Orthodoxie. Religionen gewinnen ihren Charakter eben nicht durch gesellschaftsangepassten Liberalismus, sondern durch normgebenden Konservatismus. Das aber bieten die beiden großen Kirchen nicht mehr, deren Würdenträger noch immer verwirrt umhertapsen und sich wundern, wo denn bloß ihre Schäfchen verbleiben, während sie selbst blind dem politischen Mainstream hinterherlaufen. Freilich alles Entwicklungen, die im NW-Artikel nicht erwähnt werden. Sei’s drum.

Doch eines wird natürlich erwähnt: Die Gefahr der „rechtsextremen Instrumentalisierung“ der Corona-Proteste. Immerhin „versucht ja auch die AfD die Demos zu vereinnahmen“, erklärt Sigrid Beer, „Landtagsabgeordnete der Grünen aus Paderborn und zuständig für Religionspolitik“. Da haben wir also wieder den „Journalismus“ im NW-Verständnis: Die „unabhängige“, „der Wahrheit verpflichtete“ rote Zeitung zitiert eine grüne Politikerin – natürlich, ohne die AfD einmal selbst zu Wort kommen zu lassen – wie eine konsultierte Expertin. Ganz so, als sei Frau Beer keine linksgrüne Politikerin mit naturgemäß ablehnender Meinung zur AfD, die mit dieser in direktem politischen Wettbewerb steht, sondern so, als sei sie als „Expertin für Religionspolitik“ quasi eine objektive Sachverständige, eine Fachfrau, die ein seriöses Statement zu einem gesellschaftlichen Phänomen abgibt. Auch hier sehen wir wieder die Masche der linken Presse: Man lässt einfach nur die eine Seite zu Wort kommen. Die anderen werden totgeschwiegen; man redet über sie, aber nicht mit ihnen. Darauf angesprochen erklärt man pauschal-unterstellend, die andere Seite sei ja „ohnehin nicht an einem ernsten Dialog interessiert“, wolle nur „die Demokratie unterminieren“ und dergleichen. Logisch, dass man mit dieser Taktik jede direkte, ernsthafte, diskursive Auseinandersetzung unterdrücken kann. Glücklicherweise gibt es alternative Medien wie dieses, die ein Sprachrohr bieten für die Gegenperspektive. Jedenfalls so lange, bis das Silicon Valley sie cancelt / deplatformed / zensiert. Wieder so eine Entwicklung, die die NW niemals problematisieren wird. Man könnte ewig fortfahren.

Linksgrüne Akademiker-Filterblasen

Unter dem Großartikel geht es scheinseriös weiter, diesmal mit vier kleineren Texten, für die regionale Sozialwissenschaftler befragt wurden. Auch hier herrscht eine klare Schlagseite: Der befragte Sozialpsychologe Jonas Rees etwa ist kein anderer als der Sohn des Bielefelder Grünen-Politikers und „Bündnis gegen Rechts“-Aktivisten Klaus Rees. Oben die grüne MdL, darunter der Sohn des lokalen Grünen-Fraktionsgeschäftsführers. Personelle Verquickungen, wie sie noch reichhaltiger zwischen NW und Bielefelder SPD bestehen, und die der vermeintlichen, nüchternen wissenschaftlichen Expertise einen deutlichen politischen Akzent verleihen. Auch der bekannte Sozialpsychologe Andreas Zick vom Bielefelder Institut für Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) kommt zu Wort. Das IKG hat das Framing der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ entworfen, mit dem linksgrüne Aktivisten seit Jahren ihre einseitige „Extremismus-Bekämpfung“ vermeintlich wissenschaftlich zu untermauern versuchen.

Die Bielefelder Sozialanthropologin Joanna Pfaff-Czarnecka wiederum wird zitiert mit der Aussage, verschwörungstheoretische Feindbilder böten eine verlockende Möglichkeit zur Komplexitätsreduktion. Eine Aussage, die in ihrer soziologischen Korrektheit so etwas wie eine Null-Aussage ist, da, systemtheoretisch gesprochen, so gut wie jede politische oder politisierende Debatte, egal von wem sie ausgeht, mit derlei Komplexitätsreduktionen arbeitet. Was ist denn etwa die Warnung vor der Gefahr „von rechts“ anderes als eine gewaltige, riesig große Komplexitätsreduktion, die einzelne, individuelle oder auch gruppen- oder organisationsspezifische Dynamiken, Charakteristika und Motive ausblendet und alle zusammen in einen großen, warnend etikettierten Topf wirft? Eine sachliche, nüchterne und nicht-tendenziöse wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik hätte an genau dieser Stelle dann auch genau dieses Phänomen kritisch thematisiert. Freilich etwas, was man von den befragten Wissenschaftlern wohl kaum vernehmen wird. Manche werden es nicht wollen, manche werden es gar nicht sehen und manche werden schlicht zu sehr um ihre Karriere im Rahmen der linksdominierten „Scientific Community“ fürchten. Gruppendynamik, Gruppenzwang und Konformität sind eben nicht nur „rechte“ Phänomene – nicht wahr?

Medienpädagoge Philip Karsch äußert sich in einem weiteren Kurzartikel zu der Frage, wieso Verschwörungstheorien manchmal „so plausibel“ wirken. Die Bielefelder Gender-Studies-Professorin (!) Julia Roth sagt dazu, das Internet spiele eine wichtige Rolle, da die sozialen Medien Filterblasen konstruierten und „Echokammern, in denen die eigene Meinung und das eigene Weltbild gespiegelt werden“. Und wieder: Wirklich sachlich wäre diese Äußerung nur dann gewesen, wenn Frau Roth in ihrem Rahmen auch zugegeben hätte, dass eben solche Filterblasen längst nicht nur ein rechtes, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sind, das linke Milieus genauso umrahmt wie Gender-Studies-Feministinnen, die sich in ihren Filterblasen gegenseitig jahrelang darin bekräftigen, dass Frauen an sozialwissenschaftlichen Instituten immer noch diskriminiert sind, obwohl man in manchen Leitungsgremien kaum noch einen Mann vorfindet. Wer Filterblasen zum rein „rechten“ bzw. zum reinen „Verschwörungstheoretiker“-Phänomen erklären will, will selbst manipulieren.

Fragen, die einfach nicht gestellt werden

Der Bielefelder Soziologe Tobias Werron erklärt dann nun dem ahnungslosen Leser, wie Wissenschaftler „mit Verschwörungstheorien umgehen“. Nun liegt er zwar richtig damit, dass die Wissenschaften ihre Theorien gründlicher überprüfen und dadurch gegebenenfalls seriöser machen, doch unterlässt auch er die wirklich entscheidende Frage, die an diesem Punkt nicht einer der Befragten irgendwo aufwirft: Nämlich die nach dem gesellschaftlichen, makrosoziologischen (!) Grund für das in den letzten Jahren deutlich verstärkte Aufkommen von derlei Theorien. Niemand thematisiert etwa, wie massive politische Intransparenz, politisch-wirtschaftlich-elitäre Netzwerk-Strukturen (wie sie etwa die Bilderberger-Verschwörungstheorie problematisiert, die den Fokus ja auf ein reales Netzwerk richtet) zur Herausbildung des Phänomens beitragen, das seriöse Teile der Politikwissenschaft als „Postdemokratie“ bezeichnet haben. Verschwörungstheoretiker erscheinen in den Stellungnahmen der befragten Wissenschaftler als komplexitätsreduzierte, intellektuell benachteiligte, schlicht dumme Leute mit Brett vorm Kopf, auf die die weise, aufgeklärte „Scientific Community“ gnädig lächelnd herabschaut – ohne auch nur im Ansatz zu fragen, worin die Verantwortung der herrschenden Politik für derlei neue Narrative liegt, die gewiss simplifizieren, aber oft genug einen wahren, weil elite-kritischen Kern beinhalten.

Die Strategie, die in diesem Teil der Beilage zum Zuge kommt, ist dabei eine, die sich auch in dem perfiden Begriff des „Corona-Leugners“ niederschlägt: Man unterstellt der Gegenseite pauschal eine so absurde Meinung, dass es leichter fällt, dagegen zu argumentieren und als Unsinn abzutun. Nur: Der Anteil der Querdenker und Skeptiker, die wirklich „Corona leugnen“ hält sich massiv in Grenzen. Dem Autor dieser Zeilen ist jedenfalls nicht eine einzige Person bekannt, welche die Existenz des Corona-Virus selbst „leugnen“ würde – man müsste ja auch ziemlich fern der Realität leben, würde man dies tun. Was aber viele tun, ist, das Vorliegen einer echten „Pandemie“ und damit der Notwendigkeit des Lockdowns mit all seinen Folgen zu bestreiten. Damit ist man aber eben kein „Corona-Leugner“, sondern ein „Skeptiker“, und eine seriöse argumentative Auseinandersetzung müsste zunächst dies eingestehen. Es überrascht natürlich nicht, dass auch dies nicht geschieht.

Auch eine ganz andere Frage wird von den professoralen Soziologen nicht gestellt: Nämlich jene nach dem Effekt eines global ausdifferenzierten Massenmediensystems, welches etwa auch bewirkt, dass wir heutzutage von allerlei Katastrophen, Krankheiten und sonstigen Gefahren viel schneller und zugleich auch viel eindrücklicher, da mitunter mit Live-Videos aus dem Netz, erfahren. Positiv gesprochen schärft dies das allgemeine Gefahrenbewusstsein – kritisch formuliert kann und muss man allerdings auch sagen: Die Menschen des 21. Jahrhunderts haben mehr Angst als vorige Generationen. Wo man jederzeit jede Gefahr live beobachten kann, wo man über Google jede Eventualität, die noch passieren könnte, in Betracht ziehen kann, da ist der Weg zur Neurose nicht mehr so weit wie früher. Phänomene wie die berühmte „Googlechondrie“, also Hypochondrie durch das Googeln von Krankheiten (im Zuge dessen ein simpler Schnupfen ganz schnell zu einem eingebildeten Nasentumor mutiert), zeigen diese Entwicklungen deutlich auf. Selektive und zugleich reißerische Horrorbilder von Leichenbergen vor Krankenhäusern – die aber womöglich auch noch ganz andere Ursachen haben mögen, wie etwa die Kombination aus überalterter Gesellschaft und schlechtem Gesundheitssystem – verschärfen die allgemeine Angst massiv. Eine tatsächliche Aussage über die neuartige Gefahr von Covid bergen sie jedoch nur dann in sich, wenn ausgeschlossen werden kann, dass dies nicht bei früheren Grippe-Epidemien schon einmal genauso war, nur eben, ohne dass voyeuristische Kamerateams vor den Kliniken lauerten. Auch hier gilt: Erst der Vergleich ermöglicht eine seriöse Bewertung. Auch all dies: Fragen, die eine kritische Soziologie stellen müsste. Tut sie aber nicht.

Die Konstruktion selektiver Fakten 
 
Stattdessen werden in einem weiteren Kurzartikel von Medienpädagoge Karsch Tipps zum Umgang mit „Fake News“ gegeben. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dies ausgerechnet in einer Zeitung stattfindet, die sich trotz ihrer klaren politischen Abhängigkeit von der SPD über Jahre hinweg als „unabhängig“ bezeichnete und damit ihren Lesern buchstäblich tagtäglich, bereits auf ihrer Titelseite Fake News präsentierte. Doch auch abseits dieser Absurdität gilt: Bei politischen Meinungsfragen – und ja, auch die Bewertung einer Krisensituation fällt darunter! – mit vermeintlich objektiven „Faktencheckern“ und ähnlichem zu kommen, bedeutet nur, eine besonders gewiefte Form eines neuen Wahrheitsministeriums schaffen zu wollen. Eine Form, die ebenso funktioniert wie diese NW-Beilage: Man nehme sich selektive Fakten von selektiven Quellen, beziehe sich einzig und allein auf sie und lasse alle anderen aus – und schon hat man die Art „Fakten“, die man haben will. Perfide und zugleich tragisch, auch angesichts eines sozialwissenschaftlichen Milieus, das die kritische und vor allem selbstkritische Reflexion früherer Zeiten verloren zu haben scheint, sich lieber, gefangen in einem ganz eigenen Groupthink und einer ganz eigenen Filterblase, den Regierenden und der Mainstream-Presse andient. Gut, dass es alternative Medien gibt, die dem etwas entgegensetzen.

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