Den Sozialismus rehabilitieren


Eine nationalrevolutionäre Perspektive

In konservativen Gefilden der Gegenwart ist der Terminus des „Sozialismus“ zumeist als Kampfbegriff präsent, der für etwas steht, das man ablehnt. Auch innerhalb der Diskurse in der AfD und in der Rhetorik der Partei ist zuweilen beispielsweise von „Öko-Sozialismus“ die Rede, wenn die Klimaschutzpolitik der Altparteien thematisiert wird (das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wird, ähnlich konnotierend, gern als „Planwirtschaft“ beschrieben). Außerhalb der Linkspartei und teilweise der SPD ist „Sozialismus“ zumeist ein Schimpfwort, das direkte Assoziationen zum untergegangenen Ostblock und anderen Autokratien weckt bzw. wecken soll. Mit einem historisch und begrifflich reflektierten Vorgehen hat dies allerdings wenig zu tun.

Der Begriff des Sozialismus wurde spätestens im Siegestaumel des Kapitalismus nach Ende des von ihm gewonnenen Kalten Krieges mit einer negativen Konnotation belegt, was dazu geführt hat, dass er von zahlreichen, in eben jenem Kalten Krieg politisch sozialisierten Konservativen in diesem negativen Sinne verwendet wird. Vergessen wird dabei jedoch allzu häufig, dass die Forderung nach einem „deutschen Sozialismus“ oder auch einem „preußischen Sozialismus“ in früheren Zeiten, genauer gesagt während der Konservativen Revolution in der Weimarer Republik, bei Konservativen buchstäblich zum guten Ton gehörte.

Ob nun Ernst Jünger, Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Niekisch oder Karl Otto Paetel: Die führenden, prominentesten Köpfe der Konservativen Revolution waren in weiten Teilen bekennende Sozialisten. Allerdings: Sozialisten, die ihre Weltanschauung dezidiert nicht als marxistisch oder internationalistisch verstanden, sondern ihr einen eigenen Akzent verliehen. Jene Bewegung, die diese Linie zur damaligen Zeit am energischsten vertrat, war die der sogenannten Nationalrevolutionäre (in Teilen auch als „Nationalbolschewisten“ bezeichnet). Erst der Kalte Krieg mit seiner Dichotomie von kapitalistischem Westen und stalinistischem Osten hat dazu geführt, dass der Marxismus eine Art Patent auf den Begriff des Sozialismus angemeldet hat, das ihm fatalerweise noch heute – von rechts wie von links – zugestanden wird.

Das wiederum ist bedauerlich. Denn die klassische nationalrevolutionäre Perspektive lässt sich eigentlich in vielem wiederfinden, was heute vom sozialpatriotischen Flügel der AfD vertreten wird, und was etwa Björn Höcke gerne als „Solidarischen Patriotismus“ bezeichnet. Die nach wie vor starke Basis der Linkspartei in Mitteldeutschland zeigt darüber hinaus praktisch auf, dass der Begriff des Sozialismus bei durchaus großen Teilen des Volkes alles andere als „verbrannt“ ist. Es wäre an der Zeit, dass wir unser großes sprachpolitisches Projekt, das beinhaltet, bestimmte politische Begriffe gewissermaßen zurückzuerobern, für eigene Definitions- und Deutungshoheiten zu kämpfen, auch auf diesen Terminus ausdehnen. Der Begriff des Sozialismus beinhaltet, nicht-marxistisch und nicht-globalistisch verstanden, durchweg konservative Grundwerte. Es ist Zeit, hier ein eigenes Re-Framing in Angriff zu nehmen, das sich von den althergebrachten Deutungshoheiten des Kalten Krieges – die im Grunde US-amerikanischer Interessen- und Großmachtpolitik entstammen – emanzipiert.

Dies gilt umso mehr, als dass die im Rahmen „populistischer“ Wortwahl manchmal gebrauchte Diagnose, wir lebten unter der Altparteien-Herrschaft gewissermaßen in einer Art Neo-Sozialismus, ökonomisch, soziologisch und politikwissenschaftlich schlicht falsch ist. Weder leben wir in einem intakten Sozialstaat (das hat sich bereits seit der Agenda 2010 und der Hartz-Reform ebenso erledigt wie die für einen funktionierenden Sozialstaat unentbehrlichen geschlossenen Grenzen) noch in einem System der Zentralplanwirtschaft und der verstaatlichten Großindustrie oder der Wirtschaftsdemokratie. Wir leben in einer turbokapitalistischen, globalisierten freien Marktwirtschaft, die offene Grenzen ebenso forciert wie milliardenschwere Bankenrettungen, und deren Finanzmarkt über daumensenkende Rating-Agenturen ganze Nationalstaaten entmündigen kann. Wir leben in einem immer autoritärer werdenden, multikulturellen Neoliberalismus, der ein brennendes Interesse gerade an der Aushebelung jedes sozialen, gesellschaftlichen Zusammenhalts hat, der über radikalen Individualismus jede Form der Solidargemeinschaft und jede kollektive Identität (Nation, Volk, Familie…) zu atomisieren versucht. Der (Neo-)Liberalismus ist der natürliche Feind eines sozialen und ökologischen Konservatismus – nicht aber der (richtig verstandene) Sozialismus. 

Die klassischen Nationalrevolutionäre der Konservativen Revolution hatten diese Erkenntnis schon vor fast einem Jahrhundert. Sie erkannten frühzeitig das Gefahrenpotenzial, das Modernisierung, Technisierung, Rationalisierung, Liberalisierung und Verwestlichung für gewachsene kollektive Identitäten wie auch für die Natur mit sich bringen. Ihre Gegenbewegung bleibt daher eine fortlaufende Inspiration auch für heutige Konservative, die fast ein Jahrhundert später mit ähnlichen, aber inzwischen verschärften und auf die Spitze getriebenen Entwicklungen zu kämpfen haben. Eine Inspiration, die uns auch lehrt, dass wir mit einst positiv konnotierten Begriffen reflektierter umgehen sollten – und dass wir uns deswegen endlich von den Deutungshoheiten des Kalten Krieges lösen sollten. Hin zu einer politischen Rehabilitation des Sozialismus.

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