Corona als Globalisierungsfolge
Eine risikosoziologische Betrachtung
Das Corona-Virus erhitzt nicht
nur den betroffenen Körper, sondern auch Gemüter, Emotionen und Debatten. Bei
allen zumeist durchaus berechtigten staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie
ist es doch durchaus nicht falsch, auch von einer Massenhysterie zu sprechen:
Wo Leute (teils unsinnige) Hamsterkäufe tätigen, wo Leute kein anderes Thema
mehr kennen, wo Leute schon beim Anblick eines hustenden Menschen
zusammenfahren, als hätten sie eine fleischfressende Riesenspinne erblickt, da
hat eine Gesellschaft einen neurotischen Zustand erreicht (von dem zumindest
Teile von ihr auch schon vorher, mit Blick auf ganz andere Themen, nicht allzu
weit entfernt waren). Die etablierten Massenmedien, auch in anderen
Themenfeldern schon seit langem kein Garant mehr für sachlich-nüchterne
Berichterstattung, spielen das Spiel nicht nur munter mit, sondern befeuern die
Panik in teils unverantwortlicher Weise. Reißerische Überschriften, bedrohliche
Wissenschaftler- und Politikerzitate, düstere Musik und grelle Bilder, teils
geradezu apokalyptische Stimmungsmache à la „Wir werden alle sterben!!!“ sind
keine Seltenheit. Das Geschäft mit der Angst blüht – Einschaltquoten,
Leserzahlen und Klicks bedeuten Geld.
Gleichwohl gilt: Anlass zur
Sorglosigkeit gibt es ebenso wenig. Was für den Einzelnen, für den gesunden
Mittzwanziger bis Mittvierziger nur als eine ca. zweiwöchige
Erkältungskrankheit daherkommen mag, vermag für Menschen in hohem Alter oder
mit chronischer Erkrankung bzw. geschwächtem Immunsystem eine tödliche Gefahr
zu werden (was aber eben auch, so viel sollte man stets dazu sagen, in der
Vergangenheit und in der Gegenwart genauso auch für die Grippe galt und gilt –
über die allerdings derzeit kaum jemand redet). Die Gefahr für diese
Bevölkerungsgruppe ist real, ebenso damit auch für das Gesundheitssystem als
Ganzes, welchem die Überlastung droht, was dann wiederum dramatische
Kettenreaktionen auszulösen vermag. Vor diesem Hintergrund haben teils auch
drastische Infektionsschutzmaßnahmen durchaus ihre Berechtigung – selbst wenn
der gesunde Normalbürger im Zuge einer Corona-Infektion womöglich mit einem
leichten Husten davonkommt.
Ein vernachlässigtes Thema
Soweit nichts Neues. Und doch
birgt die jüngste, ohne Übertreibung als global zu bezeichnende Pandemie
Eigenschaften in sich, die geeignet sind, vermeintlich sicher gewordene
Überzeugungen zu erschüttern und bisher eher im Abseits stehende politische
Schlussfolgerungen der Allgemeinheit plausibel zu machen. Eine davon
formulierte vor einiger Zeit im Landtag von Nordrhein-Westfalen der
gesundheitspolitische Sprecher der dortigen AfD-Landtagsfraktion, der Arzt
Martin Vincentz, als er in einer Rede, die derzeit als eine der wenigen
besonnen-durchdachten Wortbeiträge zum Thema gewertet werden kann, als Fazit
aus der Corona-Krise die Forderung nach Deglobalisierung
erhob.
In der Tat: Nicht die zunächst
regional begrenzte Corona-Epidemie, wohl aber die globale Corona-Pandemie kann
als eine direkte Folge gerade auch der Globalisierung gesehen werden – und
damit als Folge eines gesellschaftlichen Wandels, den selbst konservative
Kreise bisher noch nicht in ausreichendem Maße problematisiert haben.
Problematisiert werden wenn, dann zumeist nur (andere) Folgen eben dieser:
Massenmigration, die Transformation Europas zum EU-Superstaat. Die Kritik an
der Globalisierung als Ganzes überlässt man unverständlicherweise allzu oft
noch der politischen Linken, da man teilweise vor der (auch mit Blick auf
globale Finanzkrisen und deren Dynamiken und Kettenreaktionen!) dringend
notwendigen Kapitalismuskritik zurückschreckt.
Corona lehrt uns, was uns auch
schon die Finanzkrise vor über einem Jahrzehnt hätte lehren sollen:
Globalisierung ist ein Problem. Sie ist mit Blick auf Migrationsströme ein
Problem, sie ist mit Blick auf das globale Finanzsystem und den globalisierten
Kapitalismus ein Problem und sie ist eben auch ein Problem für die Gesundheit
der Völker, da sie neue Übertragungs- und Infektionswege herstellt, sie begünstigt,
sie beschleunigt. Die endlose Vernetzung und endlose Interdependenz von allem
mit allem, die globale, postmoderne Grenzenlosigkeit sowohl in
politisch-nationalstaatlichem als auch in technischem Sinne bringt uns in
vielen Lebensbereichen handfeste negative bis regelrecht katastrophale Folgen,
die die partiellen Vorteile in materieller Hinsicht (günstige Preise für
Kleidung und manch andere Dekadenzsymptome der westlichen Konsumgesellschaft)
nicht aufwiegen.
In was für einer Gesellschaft leben wir?
Die Makrosoziologie kennt
verschiedene theoretische Ansätze, die sich dem Problemkomplex nähern und sich
in einer Beschreibung dessen, das da mit uns, unserer Welt und ihren
Gesellschaften passiert, versucht. Und da fängt das Problem auch schon an:
Gesellschaften – oder Gesellschaft,
also Weltgesellschaft? Leben wir in
national umgrenzten Territorialgesellschaften oder in einer großen globalen,
nur durch unsere „Planetenbindung“ begrenzten Weltgesellschaft? Man muss kein
Soziologe sein, um die politische Brisanz zu erkennen, die in derlei (nicht
nur) terminologischen Unterschieden steckt. Je nach Definition des
Gesellschaftsbegriffes muss die Frage unterschiedlich beantwortet werden:
Definiert man ihn traditionell, d. h. staatsrechtlich bzw. politisch, bleibt Gesellschaft
etwas territorial, national und staatlich begrenztes. Sieht man Gesellschaft
wie etwa der Soziologe Niklas Luhmann als „Gesamtheit aller Kommunikationen“
an, so ist sie nur als Weltgesellschaft denkbar. Aus der hier und an dieser
Stelle dezidiert postulierten politischen Perspektive schließen wir uns der
ersteren Stoßrichtung an.
Dies bedeutet allerdings nicht,
dass bestimmte Diagnosen, die aus weltgesellschaftlichen Theorieperspektiven
resultieren, deswegen falsch sein müssen. Es war der Soziologe Ulrich Beck, der
Mitte der 80er Jahre erstmals das Konzept der Risikogesellschaft präsentiert hat, welches unter dem Eindruck der
Tschernobyl-Katastrophe 1986 nochmal besonders gesteigerte Aufmerksamkeit
erfuhr. Beck vertrat in diesem Zusammenhang die These, dass wir uns auf „dem
Weg in eine andere Moderne“ befinden, die dadurch gekennzeichnet ist, dass wir
im Zuge von Aufklärung und technisch-wissenschaftlichem Fortschritt nicht mehr
Gott bzw. menschliche Sünden für Katastrophen verantwortlich machen, sondern
diese uns selbst zuschreiben und somit die Menschheit selbst in der Verantwortung
sehen. Das erst gebiert Risiken und
somit Politik, die sich der Minimierung bzw. Eliminierung dieser zu widmen hat,
basierend auf eigens dadurch und dafür geschaffenen wissenschaftlichen
(Unter-)Disziplinen wie etwa der Statistik.
Die Entgrenzung von Risiken
In einem weiteren Schritt verband
Beck diesen Ansatz noch stärker mit der Globalisierungsthematik und postulierte
(durchaus treffend) eine Weltrisikogesellschaft,
die sich eben auch durch die explizite Globalisierung von Risiken auszeichnet.
Heutige globale Risiken sind entgrenzt, also von Nationalstaaten unabhängig
geworden. Nicht selten sind sie auch unkontrollierbar, da eben eine globale
politische Steuerungsinstanz – also ein (freilich alles andere als
wünschenswerter) Weltstaat – fehlt, von einigen wenigen Elementen der Global Governance und der globalen
Regulierung durch Weltorganisationen wie etwa UN und WHO abgesehen. Zudem sind
sie durch Nichtwissen geprägt: Rasante und schnelle technische Entwicklung
schafft eben auch so schnell neue Risiken, dass die Erforschung eben dieser
kaum hinterherkommt und auch nicht global koordiniert werden kann. Neues Wissen
ist niemals nur neues Wissen, sondern immer auch neues Nichtwissen. Neue Antworten generieren immer auch neue Fragen. Der
Mensch wird niemals allwissend sein.
Derjenige Leser, der schnell von
Begriff ist, wird hier – neben so manchen anderen echten oder imaginierten
globalen Risiken – die Corona-Pandemie plastisch wiedererkennen können. Sie
stellt dank Globalisierung nicht nur ein entgrenztes „Weltrisiko“ dar, sondern ist
auch nur eingeschränkt kontrollierbar. Zugleich ist das mit ihr noch verbundene
Nichtwissen beträchtlich – auch bei den Experten, erst recht aber beim Laien,
der nun einmal die gesellschaftliche Mehrheit bildet, aber an der Ausbreitung
wie auch an der Betroffenheit durch den Virus den Löwenanteil trägt.
Von Beck stammt das ebenso
treffende Bonmot: „Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch.“ Will heißen:
Globale Risiken betreffen alle sozialen Schichten fast gleichermaßen.
Sicherlich kann, wer Geld hat, sich besser vor den Auswirkungen so mancher
Risiken schützen, aber Radioaktivität, Umweltschäden und eben auch Epidemien
manchen eben nicht vor gut betuchten Menschen halt. Bei Corona könnte man
womöglich sogar noch weiter gehen und vermuten, dass der Virus eventuell eher
noch die kosmopolitisch-elitären, im Wohlstand lebenden, viel reisenden Anywheres trifft als die Somewheres, also den bodenständigen,
regional verwurzelten „kleinen Mann“. Es ist kein Zufall, dass die Krankheit in
nicht geringem Ausmaß auch schon prominente Politiker getroffen hat, die viel
reisen, viele Hände schütteln, viele Weltregionen besuchen.
Kollektive Neurose durch massenmediale Überreizung
Und noch etwas generiert die
Welt(risiko)gesellschaft: Eine massenmediale Globalisierung, welche
Kommunikationswege massiv verkürzt und mediale Kommunikation extrem
beschleunigt. Und das hat (kollektiv-)psychologische Folgen! Wo Menschen ihre
Neuigkeiten nicht mehr maßgeblich aus der gedruckten Zeitung oder der
abendlichen Tagesschau erfahren, sondern wo die mal mehr, mal weniger seriösen
Informationen – so gut wie unabhängig von der jeweiligen Lokalität – fast in
Live-Geschwindigkeit auf „News-Tickern“ online hereintrudeln und diese ebenso
in Live-Geschwindigkeit auf (manchmal erzwungenermaßen) omnipräsenten
Smartphones rezipiert werden können, da wird nicht nur Aufmerksamkeit und
Problembewusstsein gesteigert (das allein wäre ja noch nicht negativ), sondern
auch die damit verknüpften Emotionen.
Kollektive Ängste, Panik,
Hysterie, auch Hypochondrie, allgemeines Sich-Hineinsteigern in Themen, die,
wenn sie akut sind, nahezu 24 Stunden lang die eigene Lebenswelt beherrschen,
einem kontinuierlich, wo es nur geht, um die Ohren gehauen werden – all das
wirkt auf die Weltrisikogesellschaft geradezu neurotisierend. Es nährt die
allgemein wahrgenommene Meinung, mit der Menschheit gehe es im 21. Jahrhundert
wieder steil bergab, obwohl so manche Missstände des 20. Jahrhunderts (z. B.
die Gefahr eines globalen Atomkrieges) deutlich verringert worden sind und wir
in manchen Bereichen durchaus Grund hätten, mehr Optimismus zu wagen. Doch wer
sich den ganzen Tag über mit ängstigenden Nachrichten und Aufregern „zuballern“
lässt, wird eben abends nicht als psychisch rundum gesunder, ausgeglichener
Mensch ins Bett gehen. Wir befinden uns insofern heutzutage in der skurrilen
Situation, dass wir uns vor den selbstgeschaffenen, modernisierungs- und
globalisierungsbedingten Risiken aufgrund eben jener Globalisierung noch deutlich
mehr ängstigen als wir es womöglich sonst täten. Ein Missstand, an dem wiederum
ganz andere Akteure nahezu zeitgleich gut verdienen – neben der Pharmaindustrie
insbesondere die Medienkonzerne.
Globalisierungskritik von rechts
In der Gesamtsicht wird deutlich, dass Globalisierung ein Thema ist, das wir in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt haben – gerade auch auf Seiten der politischen Rechten. Dies zu korrigieren wird eine der kommenden Herausforderungen auch für die AfD sein, die momentan in der nicht unerheblichen Gefahr operiert, selbst ein indirektes Opfer der Pandemie zu werden: In Kriegs- wie in Krisenzeiten neigen die Menschen dazu, nach Sicherheit zu streben und die Regierenden zu stützen. Veränderung ist in derlei Phasen tendenziell unerwünscht. Derartige Grundstimmungen werden der politischen Rechten in Deutschland eher schaden als nützen. Hier gilt es vorzusorgen, indem man eigene Alternativen und Lösungen aufzeigt – und indem man die eigene Problemdiagnose artikuliert, deren Inhalt die Altparteien aller Wahrscheinlichkeit nach eifrig kleinreden werden. Die Devise heißt nun: Wir brauchen eine Globalisierungskritik von rechts!
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