Eine Lanze für die Hippie-Bewegung
Zum 50. Geburtstag von Woodstock
Auf Arcadi online erschien im August ein kurzer Artikel
zum 50. Geburtstag des legendären Woodstock-Festivals der Hippie-Bewegung, den
man kurz und knapp mit der Aussage „Ich hasse Woodstock, Hippies und (fast)
alles, was damit zusammenhängt“ zusammenfassen könnte. Wenn das für einen
langhaarigen Neo-Hippie wie den Autor dieser Zeilen nicht Grund genug ist,
darauf eine Antwort zu verfassen! Übrigens, so viel sei einleitend gesagt, zum
Zeitpunkt des Schreibens musikalisch begleitet vom Jefferson-Airplane-Album
„The Woodstock Experience“, das das großartige 1969er Anti-Kriegs-Album
„Volunteers“ mit dem rockigen Titeltrack und dem
ebenso großartigen „We
Can Be Together“ sowie den Woodstock-Auftritt der legendären Hippie- und
Psychedelic-Rock-Band aus San Francisco beinhaltet. Schließlich braucht es,
wenn man dem Ziel nachgeht, Woodstock in Schriftform zu verteidigen, dafür auch
das richtige Feeling. Mit anderen Worten: Ja, ich bekenne mich - ich höre gern "Papas Woodstock-Musik". Sie war künstlerisch wertvoller, echter, handgemachter und tiefsinniger.
Eine Protestbewegung gegen Vietnam- und Atomkrieg
Positiv hervor hebt der Autor des
oben verlinkten Artikels zumindest die positive Rolle, die die Hippies für ihn
als US-Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg der USA spielten (womit sie sich
in die politischere Riege der westlichen 68er-Bewegungen einreihten). Hier
haben wir Konsens: Dass der Vietnamkrieg wenige Jahre später zu Ende ging, ist
ohne den breiten gesellschaftlichen Protest der Hippies so nicht denkbar. Wahr
ist leider auch, dass dies die USA nicht von weiteren Kriegen abgehalten hat.
Allerdings: Die Hemmschwelle zumindest vor groß angelegten Bodenkriegen mit
jahrelangen kriegerischen Verstrickungen in fern gelegenen Regionen dürfte es
zumindest erhöht haben, denn ein ähnliches Ausmaß an finanziellen, vor allem
aber menschlichen und politisch-psychologischen „Kriegskosten“ erreichten die
USA erst wieder mit ihrem jüngsten Irakkrieg unter George W. Bush ab 2003. Die
Hippies haben also nicht nur den Vietnamkrieg zu beenden geholfen, sondern der
US-Politik auch deutlich gemacht, mit was für einer Protestwelle sie zu rechnen
hat, wenn sich derlei allzu bald wiederholt. Sie haben also durchaus
langfristig etwas bewirkt, wenn auch nicht dauerhaft. Ein kollektives
Gedächtnis hält generationenbedingt nicht ewig.
Ihr Engagement ging jedoch
deutlich über Vietnam hinaus: Es war der Kalte Krieg als Ganzes, der von ihnen
bekämpft wurde; allem voran wurde – wie später auch nochmal in den 80er Jahren
etwa durch die deutsche Friedensbewegung – die Atomkriegsgefahr thematisiert,
die, wie die Kuba-Krise wenige Jahre zuvor deutlich gemacht hatte,
kontinuierlich bestand und durch die eine radioaktive Verwüstung wenn nicht der
Welt, so doch zumindest Europas hätte eintreten können. Denkt man das ganze
logisch weiter, so kann man durchaus attestieren, dass die Hippies sich mehr um
die Sicherheit Deutschlands und Europas verdient gemacht haben als sämtliche
US-Generäle, denen das Schicksal Deutschlands wohl ziemlich egal gewesen wäre,
wenn man die Sowjets dadurch nur von den USA hätte fernhalten können
(exemplarisch denke man hier an Falken wie Curtis LeMay und viele
mehr, die nicht vor Atomkriegen zurückgeschreckt hätten).
Die oben schon mal bemühte Band
Jefferson Airplane hat das Horrorszenario eines Atomkriegs übrigens in mehreren
Songs skizziert, so etwa in „The House at Pooneil
Corners“, das von dem Moment einer Nuklearexplosion handelt. Das Cover des
betreffenden Albums „Crown
of Creation“ von 1968 zeigt dementsprechend auch eine eben solche Explosion.
„Wooden Ships“ von
1969 handelt von den Überlebenden eines nuklearen Holocausts, die auf hölzernen
(und dadurch nicht radioaktiven) Booten flüchten, dabei Jod-Pillen gegen die
Auswirkungen der Radioaktivität schlucken müssen und sich fragen, welche Seite
denn den Krieg gewonnen habe. Ängste, wie sie sich die heutige, nicht in einer
Atomkriegsgefahr sozialisierte Jugend wohl kaum vorstellen kann. Und Szenarien,
die – da sie eben auch eine potenziell unpolitische Jugend erreichen – wohl am
Ende mehr für den Frieden tun als so manche politische Sonntagsrede.
Keine Linken im heutigen Sinne
In der Hippie-Bewegung zeigte
sich eine politische Linke, die noch um ihre eigentlichen Aufgaben wusste:
Sozialer Ausgleich und Frieden. Mit den heutigen identitätsverlorenen,
antinationalen „Linken“, die den gesellschaftlichen Mainstream abbilden und
dabei in gratismutiger Weise noch einen auf „revolutionär“ machen, hatte sie
eher wenig gemeinsam. Diesen Unterschied gilt es sich stets vor Augen zu
führen, wenn man heutzutage als Konservativer verächtlich auf die „schmutzigen,
kiffenden Typen im Schlamm von Woodstock“ schaut. Abseits davon: Etwas
Gelassenheit gegenüber alternativen Lebensstilen schadet auch im konservativen
Spektrum nie. Persönliche Abneigungen mag man jedem zugestehen, aber „Hass“ ist
hier doch eine etwas weit gehende Gefühlslage.
Der Autor dieser Zeilen hat
bereits an anderer Stelle schon einmal deutlich gemacht, dass der Einfluss auch
der deutschen 68er Bewegung im konservativen Spektrum heute meist falsch
eingeschätzt wird, und man im engsten Zirkel um Rudi Dutschke und Bernd Rabehl
eher nationalrevolutionäre als linksliberale Ideen vorfand. Diese Argumente
wollen wir hier nicht nochmal wiederholen; Interessierte seien hier stattdessen
auf meinen Essay „Die Kinder
fraßen ihre Revolution“ von 2018 verwiesen. Der Einfluss hingegen, dem der
Verlust kollektiver Identitäten wie Familie, Nation etc. eher anzulasten ist,
ist im desintegrierenden Individualismus zu suchen, der eine direkte Folge des
kapitalistischen Wirtschaftssystems ist. Der Neoliberalismus als diesen
tragende politische und zugleich entpolitisierende Ideologie forciert die
Atomisierung der Gesellschaft und das Vergöttlichen des Individuums. Wo das
Einzelne nichts anderes mehr kennt und akzeptiert außer sich selbst, da wird
auch jedes Gefühl für Gemeinschaft und kollektive Identitäten wegbrechen. Enden
tut man in der Postmoderne,
in der alles für alle jederzeit möglich und erreichbar sein soll, in der es
keine Grenzen mehr geben darf, weder für Wirtschaftswachstum noch für
Nationalstaaten.
Konservative Romantik und Authentizität
Mit den (eher kollektivistischen,
auf Gemeinschaft und ihre soziale Bewegung setzenden) Hippies („We Can Be
Together“!) und ihren antikapitalistischen, antiimperialistischen und
ökologischen Idealen hatte dies wenig bis gar nichts zu tun. Im Zentrum des
Hippie-Denkens standen Ideale, die von den (neo-)liberalen deutlich weiter
entfernt sind als etwa von den klassisch-konservativen. Es ging um Prinzipien,
wie sie schon in der deutschen Romantik als Reaktion auf die liberale,
rationalistische Aufklärung wieder dominant wurden: Um das „Recht auf
Irrationalität“, um Gefühl und Leidenschaft, um Spiritualität, Mystizismus und
Naturnähe, um die Wiederentdeckung des Eigenen und des Ursprünglichen, um die
Kritik an kalter Ratio und Technisierung, an Konsum, Materialismus und
Oberflächlichkeit. In ihrer Ablehnung der kapitalistischen Konsumgesellschaft
verfolgten die Hippies konservativere, weil ursprünglichere und klassischere
Ideen als es die NeoCons eines Springer-Verlages jemals taten. Eine
konservative Jugend der Gegenwart sollte dies schätzen und wiedererwecken
anstatt es pauschal zu verdammen.
Dies setzt aber natürlich voraus,
gewissermaßen hinter die Fassade zu schauen – und sich nicht vom
anti-bürgerlichen Erscheinungsbild der Hippies abschrecken zu lassen, das möglicherweise
manchen Beobachter wegen „bunter Klamotten“, langer Haare oder ähnlichem
zusammenzucken lässt. Überhaupt stünde es dem Konservatismus gut zu Gesicht,
dem Inhalt, den Prinzipien und dem Grundsätzlichen mehr Wert beizumessen und
mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen als einer äußeren Fassade, von der man
sich schon zu oft hat täuschen lassen. Das äußere Bild entspricht eben nicht immer
dem Inhalt. Ohne hier in eine religiöse Argumentation einzusteigen: Auch ein
Jesus Christus wäre in seiner äußeren Erscheinung heutzutage wohl für so
manchen korrekt frisierten und gekleideten konservativen Christen eine eher
abschreckende Gestalt.
Manch ein langhaariger Hippie ist
vielleicht ein asketischerer und disziplinierterer Konservativer als so mancher
Anzugträger, und ein korrekt frisierter Seitenscheitel und eine richtig
gebundene Krawatte machen noch keinen Konservativen, ebenso wenig wie ein
Politiker plötzlich „locker, cool und volksnah“ rüberkommt, weil er mal – ganz
lässig – die Krawatte weglässt. Das Entscheidende spielt sich im Kopf ab, nicht
im Rahmen von Frisuren und Textilien, die gerade im Politischen gerne dazu
dienen zu blenden, mehr zu scheinen als zu sein. Die Hippies hingegen haben den
Wert der Echtheit und der Authentizität wieder in den Mittelpunkt gerückt (was
übrigens später die modischen Ideale einer ganzen Generation prägte; man denke
hier an weibliche Stil-Ikonen wie Ali MacGraw im Film „Love Story“ von 1970).
Sollte es uns nicht gerade daran wieder gelegen sein? Das Echte, das Ursprüngliche,
das Eigentliche wiederzufinden?
Spirituelles Bewusstsein und der Blick für das große Ganze
Richtig ist, dass es, ganz ohne
Zweifel, auch Fehlentwicklungen bei den Hippies gab. Hier steht natürlich das
Konsumieren und Verherrlichen von Drogen ganz vorn auf der Liste. Dies kann und
darf kein Weg für eine soziale Bewegung sein. Askese und Disziplin, wie sie im
oben verlinkten Artikel richtigerweise als konservative Prinzipien dargestellt
wurden, sind hier in der Tat Alternativmodelle, deren Rückkehr und
Wiederaufgreifen einer immer dekadenter gewordenen Spaßgesellschaft gut zu
Gesicht stünden.
Zur Entschuldigung der Hippies
sei aber auch hierzu gesagt: Das pure Vergnügen, der bloße Hedonismus war nicht
das, was beim breiten LSD- und Marihuana-Konsum jener Generation im Mittelpunkt
stand (hier waren zwei Dekaden später die koksenden Anzug-Yuppies der 80er
Jahre deutlich schlimmer, weil eben ichbezogener). Vielmehr hielt man
Halluzinogene wie LSD und Meskalin zu jener Zeit fälschlich für Mittel der
„Bewusstseinserweiterung“, die die „Pforten der Wahrnehmung“ öffnen würden
(„The Doors of Perception“ war ein Essay des Autors Aldous Huxley, in welchem
dieser seine Erlebnisse nach Meskalin-Konsum beschrieb; hiernach benannte sich
die andere große Psychedelic-Rock-Band jener Zeit, The Doors).
Kein Zweifel: Das waren sie nicht, und der damals um sich greifende Drogenkonsum hat zu einigen sehr tragischen Biografien geführt. Es gibt jedoch keine Protestbewegung, die nicht auch Fehler macht. Und das grundsätzliche Ziel einer Erneuerung, einer Wiedererweckung von Spiritualität, einem Blick und einem neuen Bewusstsein für das Tiefere, für das Eigentliche und das Echte könnte wichtiger nicht sein. Denn: Gerade das ist es, das Menschen dazu bringt, wieder über sich selbst hinauszuwachsen, über kurzfristige Motive hinauszudenken, wieder ein „größeres Ganzes“ in den Blick zu nehmen, langfristig und visionär zu denken, sich selbst für andere bzw. für eine Sache zurückzustellen. Mit anderen Worten: Konservativen Werten (Gemeinschaftlichkeit, Disziplin, Askese) zu folgen. Streben wir nicht genau das an?
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