Habermas und die kommunikative Rationalität
Quelle der "wahren Vernunft"?
Jürgen Habermas wurde mitunter attestiert, er habe mit seiner Theorie der kommunikativen Handlung die Kritische Theorie begraben, nachdem er, bei Beibehaltung des Ziels der Frankfurter Schule, auf eine wahre, nicht-instrumentelle Vernunft abzustellen, versucht hatte, die Methodik und das Vorgehen zur Findung dieser auf grundsätzlich andere, theoretische Füße zu stellen. Im Folgenden soll dieser Versuch Habermas’ genauer untersucht und zudem bewertet werden, ob seine Theorie eine positive Weiterentwicklung darstellt, welche in der Lage ist, die Defizite der klassischen Frankfurter Schule zu überwinden und ob sie tatsächlich eine Perspektive bietet, die „wahrhaftige“ Vernunft zu bestimmen.
Unter „instrumenteller Vernunft“ ist hier die klassische Maxime zweckrationalen Handelns zu verstehen, welche von der Aufklärung endgültig installiert wurde. Die Frankfurter sehen sie als Instrument zur Beherrschung der Natur, welches dadurch zugleich ein Instrument zur Beherrschung des Menschen darstelle: „Naturbeherrschung schließt Menschenbeherrschung ein“ (Horkheimer 1967: 94; zitiert nach Habermas 1982: 508). Die instrumentelle Vernunft führe durch ihr Herunterbrechen des Sinnes einer Handlung auf den bloßen Zweck zu einer „Verdinglichung“, welche die Natur der Sache – und somit übergreifend auch die Natur des Menschen – ausblende und ignoriere (eine aktuelle Assoziation hierzu könnte der oft kritisierte ökonomische Begriff des „Humankapitals“ sein, welcher als Wort genau dies tut und den Wert des Menschen auf seinen ökonomischen Nutzen reduziert). Diese „Verdinglichungskritik“ war nicht selten auch Bestandteil einer spezifischen Kapitalismuskritik, auf die Habermas rekurriert, wenn er, auf Lukács Bezug nehmend, schreibt vom „eigentümlichen Zwang zur Assimilation zwischenmenschlicher Beziehungen (...) an die Dingwelt (...), der eintritt, wenn soziale Handlungen nicht länger über Werte, Normen oder sprachliche Verständigung, sondern über das Medium des Tauschwertes koordiniert werden“ (Habermas 1982: 508). Adorno und Horkeimer allerdings verschieben die Prioritäten hier genau in die andere Richtung und sehen in dieser kapitalismuskritischen Komponente nur einen Bestandteil ihrer universalen Verdinglichungs- bzw. Vernunftkritik. Zugleich sei die instrumentelle Vernunft aber in ihren faktischen Folgen höchst irrational: „Diese Dialektik der Rationalisierung erklärt sich aus der Struktur einer Vernunft, die für den absolut gesetzten Zweck der Selbsterhaltung instrumentalisiert wird“ (ebd.: 509). Konkreter formuliert: Das absolute zweckgerichtete Handeln setzt voraus, dass der Mensch ebenfalls zum Objekt, zum „Ding“, gar zum Mittel degradiert wird, was andererseits den Zweck wieder negiert und delegitimiert, da sein Adressat ja nur der naturhafte Mensch sein kann, nicht aber ein Ding oder Objekt. Diese Paradoxie erklärt in Kürze den Grundstein der hier von Habermas zusammengefassten Frankfurter Vernunftkritik.
Habermas schlussfolgert nun, dass, wenn ein solches Missverhältnis von Mensch und Natur existiert, ja auch ein harmonisches Verhältnis möglich sein müsse, eine „universale Versöhnung“ (ebd.: 509) von Mensch und Natur, welche auf einer „Vernunft vor der (von Anbeginn instrumentellen) Vernunft“ (ebd.: 512) basiert. An dieser Stelle aber stößt Habermas auf das Dilemma, welches für Adorno und Horkheimer die Mauer war, an der ihr Projekt der Kritik letztlich stehen bleiben musste. Wie soll man, als Autor, Philosoph oder Geisteswissenschaftler der Moderne, der im Denkmuster der instrumentellen Vernunft gefangen ist, erkennen oder beschreiben, was diese ominöse „Vernunft vor der Vernunft“ nun genau ist? Dies zeigt auch den Grund auf, der verhinderte, dass die Frankfurter Schule jemals zu einer konstruktiven Kritik fand: Sie sah sich stets selbst in die Kritik mit einbezogen, wodurch sie auch selbst ihre Unfähigkeit zur Alternativenfindung postulieren musste. Dies hat für die Frankfurter zur Folge, dass sie über die vermeintlich wahre Vernunft „nur reden können wie über ein undurchschautes Stück Natur“ (ebd.: 512). Diese inhaltliche Selbstbeschränkung führt nicht zuletzt auch zu einer Selbstbeschränkung in der Methodik. Eine eigene „Theorie“ ist somit kaum noch aufstellbar, da sozusagen das wissenschaftliche Instrumentarium fehlt: Die Frankfurter gleichen hier einem Astronomen, der zwar erkennt, dass das Universum als mehr besteht als nur dem Planeten Erde, dieses „mehr“ aber auch nicht genauer bestimmen kann, weil er weder im Besitz von Teleskopen noch von anderen Observationsinstrumenten ist. Das macht Wissenschaft unmöglich (vgl. ebd.: 517) und drängt zur Flucht in die Spekulation, zur Kunst und Ästhetik – eine Entwicklung, die sich bei Adorno ja auch tatsächlich so vollzog.
Habermas sucht einen Ausweg aus diesem Dilemma, indem er die Erkenntnisse moderner Systemtheorie einbezieht und sich der Kommunikation als maßgeblichem Element sozialen Handelns zuwendet. Ihm zufolge ist es die straffe Fixierung der Frankfurter auf die Bewusstseinsphilosophie, respektive das Betrachten bloßer Denkmuster, was das Heraustreten aus der instrumentellen Vernunft unmöglich macht. Dies jedoch sei bloß die Betrachtung der Wirkung, nicht aber der Ursache: „Nach den Grundannahmen der Darwinschen Biologie und der heutigen Systemtheorie erhält ein Organismus, eine Population, ein System seinen Bestand durch Abgrenzung gegen und Anpassung an eine veränderliche, überkomplexe Umwelt“ (ebd.: 520). Damit macht Habermas einen Schritt hin zu Niklas Luhmann, der diese Gegebenheiten als Autopoiesis und operative Geschlossenheit bezeichnet (vgl. Luhmann 2004: 91 ff.). Diese Abgrenzung und Anpassung erfolgt durch Kommunikation, und in dieser – als Ursache jeden Denkens und Handelns – müsse man folglich nach der „wahren“ Vernunft oder zumindest ihren Fragmenten suchen, zugunsten einer Sprachphilosophie, die diese kommunikative Rationalität beschreiben will (vgl. Habermas 1982: 523), wie Habermas es ja mit seiner Theorie der kommunikativen Handlung auch beabsichtigt hat. Diese beschreibt die Gestaltung idealer Kommunikationsgemeinschaften, die die Kommunikation auf die Funktion der Schaffung von Konsens durch Überzeugung festlegen. In solchen sei letztlich die „wahre“ Vernunft zu bestimmen. Habermas versucht also auch, die wissenschaftliche Komponente der Frankfurter Schule wieder zu reaktivieren und diese im Sinne einer strukturierten normativen Theorie zu nutzen.
Mir scheint, Habermas hat in diesem Kontext zumindest partiell einen wichtigen Entwicklungsschritt vollzogen. Der Übergang zur Sprachphilosophie, weg von der überholten Bewusstseinstheorie, die Annahme der systemetheoretischen Konzeption der operativen Geschlosseneit und Autopoiesis und die Erkenntnis, dass Kommunikation soziales Handeln prägt, lassen den Hoffnungsschimmer erkennen, dass die deutsche Philosophie grundsätzlich in der Lage ist, ihre Konzeptionen soziologisch-theoretisch zu fundieren und dies in einem wissenschaftlichen Stil darzulegen – keine Selbstverständlichkeit, wie der zuweilen nebulöse, lyrische und begrifflich vollständig undefinierte Feuilletonismus manch anderer philosophischer Schriften zeigt.
Ebenso recht hat Habermas, wenn er moniert, dass eine Kritische Theorie sich in ihrer Kritik an einem Maßstab zu orientieren hat (wie jede Kritik!), dies aber nicht kann, wenn dieser Maßstab – die „wahre“ Vernunft, das „undurchschaute Stück Natur“ – überhaupt nicht genau bekannt ist und man über diesen nur spekulativ schreiben kann. Zurecht folgert er, dass dies jedes wissenschaftliches Potenzial negiert und zum Ausweichen auf ästhetische Scheinwelten verleitet. Positiv inspiriert durch systemtheoretische Modelle, hat er also die Kritische Theorie konsequent weiter gedacht und dadurch die methodischen Grenzen der Konzeption Adornos und Horkheimers aufgezeigt. Ein Begräbnis? Vielleicht, aber nicht intendiert.
Diese genannten, positiven Attribute allerdings können nicht verdecken, dass Habermas, dadurch, dass er die Prämisse der Frankfurter Schule aufgegriffen hat, die instrumentelle Vernunft hielte die Menschen gewissermaßen in einem zweckrationalen Gefängnis, mit seiner Folgerung einer kommunikativen Rationalität in unlogische Bahnen gerät. Sehr richtig, erst die Kommunikation ist es, die das psychische System prägt und seine Identität zugrunde legt (Sozialisation durch die Umwelt des Systems), jedoch folgt hierauf doch automatisch die Frage: Bildet die instrumentelle Vernunft denn nicht auch – und gerade! – die Grundlage für die Gestaltung der Kommunikation? Ist nicht insofern die Vorstellung höchst widersprüchlich, ausgerechnet in der allseits prägenden Kommunikation würden wir mindestens Spuren der „wahren“ Vernunft finden? Hier steuert Habermas in eine offensichtliche Sackgasse, aus der sich mir kein Ausweg erschließt.
Zusammenfassend ist also festzustellen, dass, bei aller notwendigen methodischen Präzisierung und Fokussierung, welche er hier vorgenommen hat, Habermas bei seinem Ansinnen scheitern muss. Wenn die wahrhaftige „Vernunft vor der Vernunft“ nicht im (in der instrumentellen Vernunft der Zweckrationalität gefangenen) Bewusstsein zugänglich ist, dann wird sie auch nicht durch die ursächliche Kommunikation bestimmbar – ansonsten hätte sie, eben über die Kommunikation, auch das Bewusstsein geprägt, und Habermas hätte seine Kritik an Adornos und Horkheimers „Resignation“ nicht vorbringen müssen, da die Frankfurter wiederum gar nicht hätten resignieren müssen. Diese logische Kette zeigt nur allzu deutlich auch den Widerspruch, in den Habermas sich verwickelt hat, und sie bestätigt mich in meinem Glauben, dass das Projekt der Suche nach einem heilbringenden Gral der Vernunft schleunigst beendet werden sollte.
Quellen
Habermas, Jürgen (1982): Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt a.M.: Suhrkamp
Jürgen Habermas wurde mitunter attestiert, er habe mit seiner Theorie der kommunikativen Handlung die Kritische Theorie begraben, nachdem er, bei Beibehaltung des Ziels der Frankfurter Schule, auf eine wahre, nicht-instrumentelle Vernunft abzustellen, versucht hatte, die Methodik und das Vorgehen zur Findung dieser auf grundsätzlich andere, theoretische Füße zu stellen. Im Folgenden soll dieser Versuch Habermas’ genauer untersucht und zudem bewertet werden, ob seine Theorie eine positive Weiterentwicklung darstellt, welche in der Lage ist, die Defizite der klassischen Frankfurter Schule zu überwinden und ob sie tatsächlich eine Perspektive bietet, die „wahrhaftige“ Vernunft zu bestimmen.
Unter „instrumenteller Vernunft“ ist hier die klassische Maxime zweckrationalen Handelns zu verstehen, welche von der Aufklärung endgültig installiert wurde. Die Frankfurter sehen sie als Instrument zur Beherrschung der Natur, welches dadurch zugleich ein Instrument zur Beherrschung des Menschen darstelle: „Naturbeherrschung schließt Menschenbeherrschung ein“ (Horkheimer 1967: 94; zitiert nach Habermas 1982: 508). Die instrumentelle Vernunft führe durch ihr Herunterbrechen des Sinnes einer Handlung auf den bloßen Zweck zu einer „Verdinglichung“, welche die Natur der Sache – und somit übergreifend auch die Natur des Menschen – ausblende und ignoriere (eine aktuelle Assoziation hierzu könnte der oft kritisierte ökonomische Begriff des „Humankapitals“ sein, welcher als Wort genau dies tut und den Wert des Menschen auf seinen ökonomischen Nutzen reduziert). Diese „Verdinglichungskritik“ war nicht selten auch Bestandteil einer spezifischen Kapitalismuskritik, auf die Habermas rekurriert, wenn er, auf Lukács Bezug nehmend, schreibt vom „eigentümlichen Zwang zur Assimilation zwischenmenschlicher Beziehungen (...) an die Dingwelt (...), der eintritt, wenn soziale Handlungen nicht länger über Werte, Normen oder sprachliche Verständigung, sondern über das Medium des Tauschwertes koordiniert werden“ (Habermas 1982: 508). Adorno und Horkeimer allerdings verschieben die Prioritäten hier genau in die andere Richtung und sehen in dieser kapitalismuskritischen Komponente nur einen Bestandteil ihrer universalen Verdinglichungs- bzw. Vernunftkritik. Zugleich sei die instrumentelle Vernunft aber in ihren faktischen Folgen höchst irrational: „Diese Dialektik der Rationalisierung erklärt sich aus der Struktur einer Vernunft, die für den absolut gesetzten Zweck der Selbsterhaltung instrumentalisiert wird“ (ebd.: 509). Konkreter formuliert: Das absolute zweckgerichtete Handeln setzt voraus, dass der Mensch ebenfalls zum Objekt, zum „Ding“, gar zum Mittel degradiert wird, was andererseits den Zweck wieder negiert und delegitimiert, da sein Adressat ja nur der naturhafte Mensch sein kann, nicht aber ein Ding oder Objekt. Diese Paradoxie erklärt in Kürze den Grundstein der hier von Habermas zusammengefassten Frankfurter Vernunftkritik.
Habermas schlussfolgert nun, dass, wenn ein solches Missverhältnis von Mensch und Natur existiert, ja auch ein harmonisches Verhältnis möglich sein müsse, eine „universale Versöhnung“ (ebd.: 509) von Mensch und Natur, welche auf einer „Vernunft vor der (von Anbeginn instrumentellen) Vernunft“ (ebd.: 512) basiert. An dieser Stelle aber stößt Habermas auf das Dilemma, welches für Adorno und Horkheimer die Mauer war, an der ihr Projekt der Kritik letztlich stehen bleiben musste. Wie soll man, als Autor, Philosoph oder Geisteswissenschaftler der Moderne, der im Denkmuster der instrumentellen Vernunft gefangen ist, erkennen oder beschreiben, was diese ominöse „Vernunft vor der Vernunft“ nun genau ist? Dies zeigt auch den Grund auf, der verhinderte, dass die Frankfurter Schule jemals zu einer konstruktiven Kritik fand: Sie sah sich stets selbst in die Kritik mit einbezogen, wodurch sie auch selbst ihre Unfähigkeit zur Alternativenfindung postulieren musste. Dies hat für die Frankfurter zur Folge, dass sie über die vermeintlich wahre Vernunft „nur reden können wie über ein undurchschautes Stück Natur“ (ebd.: 512). Diese inhaltliche Selbstbeschränkung führt nicht zuletzt auch zu einer Selbstbeschränkung in der Methodik. Eine eigene „Theorie“ ist somit kaum noch aufstellbar, da sozusagen das wissenschaftliche Instrumentarium fehlt: Die Frankfurter gleichen hier einem Astronomen, der zwar erkennt, dass das Universum als mehr besteht als nur dem Planeten Erde, dieses „mehr“ aber auch nicht genauer bestimmen kann, weil er weder im Besitz von Teleskopen noch von anderen Observationsinstrumenten ist. Das macht Wissenschaft unmöglich (vgl. ebd.: 517) und drängt zur Flucht in die Spekulation, zur Kunst und Ästhetik – eine Entwicklung, die sich bei Adorno ja auch tatsächlich so vollzog.
Habermas sucht einen Ausweg aus diesem Dilemma, indem er die Erkenntnisse moderner Systemtheorie einbezieht und sich der Kommunikation als maßgeblichem Element sozialen Handelns zuwendet. Ihm zufolge ist es die straffe Fixierung der Frankfurter auf die Bewusstseinsphilosophie, respektive das Betrachten bloßer Denkmuster, was das Heraustreten aus der instrumentellen Vernunft unmöglich macht. Dies jedoch sei bloß die Betrachtung der Wirkung, nicht aber der Ursache: „Nach den Grundannahmen der Darwinschen Biologie und der heutigen Systemtheorie erhält ein Organismus, eine Population, ein System seinen Bestand durch Abgrenzung gegen und Anpassung an eine veränderliche, überkomplexe Umwelt“ (ebd.: 520). Damit macht Habermas einen Schritt hin zu Niklas Luhmann, der diese Gegebenheiten als Autopoiesis und operative Geschlossenheit bezeichnet (vgl. Luhmann 2004: 91 ff.). Diese Abgrenzung und Anpassung erfolgt durch Kommunikation, und in dieser – als Ursache jeden Denkens und Handelns – müsse man folglich nach der „wahren“ Vernunft oder zumindest ihren Fragmenten suchen, zugunsten einer Sprachphilosophie, die diese kommunikative Rationalität beschreiben will (vgl. Habermas 1982: 523), wie Habermas es ja mit seiner Theorie der kommunikativen Handlung auch beabsichtigt hat. Diese beschreibt die Gestaltung idealer Kommunikationsgemeinschaften, die die Kommunikation auf die Funktion der Schaffung von Konsens durch Überzeugung festlegen. In solchen sei letztlich die „wahre“ Vernunft zu bestimmen. Habermas versucht also auch, die wissenschaftliche Komponente der Frankfurter Schule wieder zu reaktivieren und diese im Sinne einer strukturierten normativen Theorie zu nutzen.
Mir scheint, Habermas hat in diesem Kontext zumindest partiell einen wichtigen Entwicklungsschritt vollzogen. Der Übergang zur Sprachphilosophie, weg von der überholten Bewusstseinstheorie, die Annahme der systemetheoretischen Konzeption der operativen Geschlosseneit und Autopoiesis und die Erkenntnis, dass Kommunikation soziales Handeln prägt, lassen den Hoffnungsschimmer erkennen, dass die deutsche Philosophie grundsätzlich in der Lage ist, ihre Konzeptionen soziologisch-theoretisch zu fundieren und dies in einem wissenschaftlichen Stil darzulegen – keine Selbstverständlichkeit, wie der zuweilen nebulöse, lyrische und begrifflich vollständig undefinierte Feuilletonismus manch anderer philosophischer Schriften zeigt.
Ebenso recht hat Habermas, wenn er moniert, dass eine Kritische Theorie sich in ihrer Kritik an einem Maßstab zu orientieren hat (wie jede Kritik!), dies aber nicht kann, wenn dieser Maßstab – die „wahre“ Vernunft, das „undurchschaute Stück Natur“ – überhaupt nicht genau bekannt ist und man über diesen nur spekulativ schreiben kann. Zurecht folgert er, dass dies jedes wissenschaftliches Potenzial negiert und zum Ausweichen auf ästhetische Scheinwelten verleitet. Positiv inspiriert durch systemtheoretische Modelle, hat er also die Kritische Theorie konsequent weiter gedacht und dadurch die methodischen Grenzen der Konzeption Adornos und Horkheimers aufgezeigt. Ein Begräbnis? Vielleicht, aber nicht intendiert.
Diese genannten, positiven Attribute allerdings können nicht verdecken, dass Habermas, dadurch, dass er die Prämisse der Frankfurter Schule aufgegriffen hat, die instrumentelle Vernunft hielte die Menschen gewissermaßen in einem zweckrationalen Gefängnis, mit seiner Folgerung einer kommunikativen Rationalität in unlogische Bahnen gerät. Sehr richtig, erst die Kommunikation ist es, die das psychische System prägt und seine Identität zugrunde legt (Sozialisation durch die Umwelt des Systems), jedoch folgt hierauf doch automatisch die Frage: Bildet die instrumentelle Vernunft denn nicht auch – und gerade! – die Grundlage für die Gestaltung der Kommunikation? Ist nicht insofern die Vorstellung höchst widersprüchlich, ausgerechnet in der allseits prägenden Kommunikation würden wir mindestens Spuren der „wahren“ Vernunft finden? Hier steuert Habermas in eine offensichtliche Sackgasse, aus der sich mir kein Ausweg erschließt.
Zusammenfassend ist also festzustellen, dass, bei aller notwendigen methodischen Präzisierung und Fokussierung, welche er hier vorgenommen hat, Habermas bei seinem Ansinnen scheitern muss. Wenn die wahrhaftige „Vernunft vor der Vernunft“ nicht im (in der instrumentellen Vernunft der Zweckrationalität gefangenen) Bewusstsein zugänglich ist, dann wird sie auch nicht durch die ursächliche Kommunikation bestimmbar – ansonsten hätte sie, eben über die Kommunikation, auch das Bewusstsein geprägt, und Habermas hätte seine Kritik an Adornos und Horkheimers „Resignation“ nicht vorbringen müssen, da die Frankfurter wiederum gar nicht hätten resignieren müssen. Diese logische Kette zeigt nur allzu deutlich auch den Widerspruch, in den Habermas sich verwickelt hat, und sie bestätigt mich in meinem Glauben, dass das Projekt der Suche nach einem heilbringenden Gral der Vernunft schleunigst beendet werden sollte.
Quellen
Habermas, Jürgen (1982): Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt a.M.: Suhrkamp
Luhmann, Niklas (2004): Einführung in die Systemtheorie (2. Auflage). Heidelberg: Carl-Auer-Verlag
  

Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Anonyme Kommentare werden nicht veröffentlicht. Bitte geben Sie bei einem Kommentar Ihren richtigen Namen an. Dazu wählen Sie die Option "Name / URL". Die Angabe einer URL ist dafür nicht zwingend erforderlich. Verzichten Sie bitte auf Pauschalisierungen und bleiben Sie sachlich. Vielen Dank.