Empathie und Verstehen im politischen Diskurs

Beobachtung zweiter Ordnung als diskursives Instrument

In politischen Debatten sind Emotionen an der Tagesordnung. Die Stimme wird lauter, man unterbricht sich mitunter gegenseitig, wird unter Umständen polemisch. Bei schriftlich geführten Diskussionen, gerade in sozialen Netzwerken, bei YouTube oder in Kommentarfeldern von Blogs und Online-Medien, geschieht das gleiche: Ausrufungszeichen häufen sich, Beleidigungen vermehren sich. Die schützende Anonymität des Internets begünstigt das Phänomen – egal, auf welcher Seite des politischen Spektrums: Unter Videos, die in YouTube eingestellt werden (seien sie nun politischer oder ganz anderer Natur), stapeln sich geradezu Kommentare, die nur so strotzen vor Beschimpfungen, Bedrohungen, Vulgärausdrücken und anderen Inhalten, die an der Mündigkeit der Nutzer oft gewisse Zweifel aufkommen lassen. Der Debattenkiller Nazi-Vergleich ist dabei noch eines der harmloseren „Stilmittel“. Politische Diskussionen werden somit de facto zur Qual, konstruktive Ergebnisse unmöglich.

Das Internet eröffnet dabei zwar neue Kommunikationswege und wichtige Gegenöffentlichkeiten; zugleich werden diese hoffnungsvollen Instanzen aber zu nicht-sanktionierten Artikulationswegen asozialer Kommunikation pervertiert, in der Beschimpfungen und Drohungen dominieren. Langfristig führt dies zu einem qualitativen Niedergang der politischen Kultur und zum Ende konstruktiver Diskurse. Und nicht nur das: Dem politischen Establishment wird dadurch eine Waffe gegen konservative und rechte Akteure in die Hand gegeben, da es dadurch mit dem Verweis auf vermeintliche „Hassreden“ – die eigentlich eher „Wutreden“ sind, die früher eben am Stammtisch stattfanden anstatt im Netz – unter dem Beifall der Mainstream-Medien Zensurgesetze beschließen kann und die großen Datenkraken-Konzerne des Silicon Valley und die ihnen zugehörigen sozialen Netzwerke darauf basierend ihre globalistische Agenda repressiv durchsetzen können.

Reflexion – Empathie – Verstehen

Was also tun? Fehlverhalten in Debatten und fehlende Diskussionskultur wurzeln tief und liegen nicht selten in Psychologie und Sozialisation begründet. Eine besonders wichtige Beobachtung ist dabei die besondere Rolle dessen, was man gemeinhin als Reflexion oder, im Falle des Gelingens, auch als Empathie bezeichnet. Es geht darum, sich in andere hineinzuversetzen, auch wenn dies sicherlich ein soziologisch untauglicher Begriff ist, da psychische Systeme stets nur voneinander getrennt existieren können und sich daher niemand in den anderen direkt „hineinversetzen“ kann.

Der Soziologe Niklas Luhmann bezeichnete es präziser als „Beobachtung zweiter Ordnung“: Diese zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, zu beobachten, wie wiederum andere beobachten. Dies macht die Komponente des Verstehens in der Kommunikation aus: Man vollzieht nach, auf der Basis welcher ihm eigenen Rationalität der andere zu seiner Meinung kommt, indem man beispielsweise seine Lebensumstände bedenkt, seine soziale Situation, seine Sozialisation. Man kalkuliert das mit ein, was die Anthropologin Mary Douglas als „cultural bias“ bezeichnet hat: Die Prämissen, mit denen der andere an das Leben als solches herangeht, seine Vorstellungen von dem, was erstrebenswert ist und von dem, was bedrohlich ist. Gelingt dies, so gelingt die Beobachtung zweiter Ordnung. Diskutanten, die sich auf diese Weise verhalten, können gelassener miteinander umgehen, da sie einander die jeweils eigene Logik und somit die jeweils eigene politische Schlussfolgerung und Position zugestehen, ohne sie deswegen automatisch teilen zu müssen.

Grenzen der Moralkommunikation

Wer diese Fähigkeit besitzt, der ist imstande, mit Menschen aus verschiedensten politischen Lagern nicht nur sachlich debattieren zu können, sondern – man stelle sich vor – sogar mit ihnen persönlich befreundet zu sein, ohne dass politische Diskussionen pausenlos in persönliche Beschimpfungen und Freundschaftskündigungen ausarten müssen. Ja, man ist sogar imstande, Diskussionen – nicht allen, aber den meisten – mit einer größeren Gelassenheit entgegen zu treten. Natürlich: Manch einer wird dies zweifellos als Fatalismus und Gleichgültigkeit einschätzen. Das Gegenteil jedoch ist der Fall: Wer in zweiter Ordnung beobachtet und dadurch gelassener diskutiert, der bleibt auch länger politisch motiviert. Gleiches gilt dann in der Folge auch für die Diskussionspartner, da die fehlende Emotionalisierung die Atmosphäre der Diskussion grundlegend verbessern und zu konstruktiveren Ergebnissen führen wird.

Grundbedingung für die Einhaltung eines solchen „Kodex“ ist jedoch ein basales Eingeständnis, das für so manchen, insbesondere für so manchen Linken, schwer zu schlucken sein wird. Es geht um das Eingestehen der Tatsache, dass moralische Gut/Böse-Unterscheidungen immer nur einen selbst gelten, niemals jedoch per se auf andere übertragen werden können. Beobachtung zweiter Ordnung bedeutet, anderen die ihnen eigene Art der Rationalität und somit auch ihre eigene Moral zuzugestehen, die nicht automatisch keine Geltung mehr hat, nur weil sie der eigenen widerspricht.

Meinungsfreiheit und politische Toleranz

Politische Toleranz kann es deswegen nur ganz geben – oder gar nicht. Ab dem Moment, in dem Einzelne abseits von den eigens dafür eingerichteten gesetzlichen Institutionen darüber zu urteilen versuchen, wo die Toleranz aufhört, bis wohin also die Moral und die Rationalität anderer von der jeweils eigenen abweichen darf, ab diesem Moment ist die Grundlage dafür gelegt, dass der politische Diskurs misslingt, da er potenzielle Diskurspartner ausschließt. Dies wiederum führt zur Abschottung der Gruppe der Ausgeschlossenen, dadurch zum Groupthink-Phänomen und somit letztendlich zur Radikalisierung. So wie Meinungsfreiheit also absolut gelten muss – Bedrohungen und Beschimpfungen, also Äußerungen, die offenkundig keinen sachlichen Inhalt haben und gerade auf die Diskreditierung des anderen und somit seinen Ausschluss aus der Kommunikation abzielen, ausgenommen –, so muss auch die Beobachtung zweiter Ordnung zunächst jedem gegenüber ausgeübt werden, und wenn das sachlich Geäußerte für den Zuhörenden noch so absurd, noch so falsch, noch so moralisch schlecht klingen mag. 

Wir würden gut daran tun, bereits in der Schule mit dem Vermitteln einer solchen Form von Diskussionskultur zu beginnen. Es geht dabei nicht nur um eine Form der Bildung, die sich darauf beschränkt, den Kindern einzutrichtern, dass sie den anderen ausreden lassen sollen. Es geht genauso um die Frage, wie mit dem Gesagten konkret umgegangen wird und um eine Bildung, die darauf basiert, Kinder via Lehre von Beobachtung zweiter Ordnung zu sozialer Kommunikation zu erziehen – und damit zu sozialem Verhalten. Das Ergebnis wäre eine dialogfähige und demokratische politische Kultur, in der auch konservative und alternative politische Positionen wieder ihren legitimen Platz finden, anstatt eines sanft-totalitären, globalistischen Konsensbreis, in dem jeder Ansatz freien und kritischen Denkens im Gift des linken Moralins erstickt wird.

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