Neoliberale Floskeln machen noch keine „Metapolitik“
Eine sozialistische Entgegnung
Wer „Metapolitik“ betreiben will,
will hoch hinaus. Der Begriff wird im gegenwärtigen politischen Diskurs nicht
zuletzt vom Umfeld des Instituts für Staatspolitik und dessen Zeitschrift Sezession
geprägt und beschreibt gewissermaßen das Operieren in den Gefilden der
Politischen Theorie. Hier geht es nicht um das tagespolitische Kleinklein,
nicht um personalpolitische Fragen, nicht um politische Rhetorik, sondern um
die Hintergründe, um die Strukturen, um Narrative, um Ideologien, um „das große
Ganze“. Metapolitische Abhandlungen bedürfen der sorgfältigen Reflexion; sie
bedürfen der Definition, der Klarheit, der Infragestellung geltender Mythen und
Erzählungen.
Auf Arcadi hat jüngst Christoph Facius, AfD- und JA-Funktionär aus
Köln, eine, wie er es nennt, „metapolitische
Betrachtung“ angestellt, die in der Forderung einer „Amerikanisierung der
Sozialdemokratie“ gipfelt und den interventionistischen, umverteilenden
Sozialstaat geißelt. Und hier beginnt bereits das erste große Problem des
Artikels: Was oder wen meint der Autor eigentlich mit „Sozialdemokratie“? Für
gewöhnlich versteht man hierunter eine gewisse Partei, die in Deutschland
gerade aufgrund ihrer ab Anfang des neuen Jahrtausends eingetretenen
Amerikanisierung (Agenda 2010; Hartz-Reform) seit ca. 15 Jahren ihren
fortschreitenden Kollaps erlebt. Aber diese scheint nicht gemeint zu sein:
Vielmehr geht es wohl um den deutschen Sozialstaat.
Was ist eigentlich „Leistung“?
Ganze achtmal fällt in dem ca. 1
½ Seiten langen Artikel der Begriff der „Leistung“, manchmal in verschiedenen
Verknüpfungen mit anderen Begriffen: „Leistungsschwache“, „Leistungsträger“,
„Leistungsprinzip“, „Leistungserbringer“. Definiert wird er dagegen nicht ein
einziges Mal. Dabei wäre dies doch so nötig: Was ist denn „Leistung“ eigentlich
genau? Ist es eine „Leistung“, wenn ein Finanzhai durch gigantomanische
Börsenspekulationen reich wird? Ist es eine „Leistung“, wenn Manager Boni
erhalten, von denen einzelne Menschen ein Leben lang zehren könnten? Ist es
eine „Leistung“, wenn ein Manager seinen Konzern in den Sand setzt und dafür
eine gewaltige Abfindung kassiert? „Leistet“ der Banker mehr als die Altenpflegerin,
die Krankenschwester, der Stahlarbeiter oder die Reinigungskraft? Ist höhere
„Leistung“ die Ursache dafür, dass eine zweistellige Anzahl von Menschen
weltweit so viel besitzt wie die Hälfte der Weltbevölkerung? Haben die
Superreichen in Deutschland und anderswo ihre Milliardenvermögen durch
„Leistung“ erworben?
Fragen, auf die die
„metapolitische Betrachtung“ des Herrn Facius keine Antwort liefert. Und genau
dies ist regelmäßig das ganz große Defizit, an dem all das FDP-Gerede über
„Leistungsträger“ und „Leistungsschwache“, kommt es nun von einem Arcadi-Autoren
oder aus einem Weidel-Buch, regelmäßig krankt: Es werden neoliberale Floskeln
aufgegriffen und in denkbar unreflektierter Weise verwendet; es werden auf
völlig unkritische Weise Begriffe und Narrative aufgegriffen und weiter
kommuniziert, die, wenn man näher auf die sozialen Verhältnisse schaut, an
Doppelmoral und Ignoranz nicht zu überbieten sind.
Da wundert es dann auch nicht,
dass Herr Facius wichtige Begriffe wie „Chancengleichheit“ und „soziale
Gerechtigkeit“ am liebsten gar nicht mehr verwenden will. Ansonsten müsste man
ja mal hinterfragen, wie sozial gerecht ein solches Verständnis von „Leistung“
eigentlich ist, das u. a. die Akteure der globalen Finanzmafia zu „Leistungserbringern“
und sozial schwache Arbeitskräfte zu „Leistungsschwachen“ erklärt. Und man
müsste schließlich, daraus hervorgehend, fragen, ob es nicht sogar ein viel
größeres Ausmaß an Umverteilung als bisher bräuchte: Freilich nicht an eingewanderte
Empfänger aus anderen Ländern, sondern an diejenigen echten (!) Leistungsträger
aus dem eigenen Volk, denen die scheinpatriotischen Lucke-Liberalen in der AfD mit
ihren Amerikanisierungsträumen eher in den Rücken fallen als tatsächlich helfen.
Am Ende des Tages, so muss man leider attestieren, bietet eine soziale Bewegung
wie Sahra Wagenknechts #Aufstehen mehr patriotischen Zusammenhalt als manche in
der AfD noch übrig gebliebene Klientelpolitiker, die Kürzungen auf dem Rücken
des eigenen Volkes durchsetzen wollen.
Was Amerikanisierung de facto bedeutet
Man würde sich auch wünschen,
dass Herr Facius die Ehrlichkeit, die wenigstens die Überschrift seines
Artikels auszeichnet, wenn er von „Amerikanisierung“ spricht, im weiteren
Verlauf seines Textes durchgehalten hätte. Schließlich aber ist dann plötzlich
von einem „aktivierenden Sozialstaat“ als Zielvorstellung die Rede – ein
Begriff, der schon spätestens seit der neoliberalen Hochphase Anfang der 2000er
als Euphemismus für Sozialabbau verstanden werden muss. Die Überschrift ist in
diesem Zusammenhang regelrecht entlarvend: Zeigt doch das Beispiel USA bestens
auf, wie ein solch „aktivierender Sozialstaat“
de facto aussieht. Ein multikulturelles Einwanderungsland mit einem Stadtbild,
das von Ghettoisierung, Mord und Totschlag und Obdachlosen geprägt ist; ein
Land, in dem schwer erkrankte Menschen Spendensammlungen organisieren müssen,
um sich teurere Therapien, modernere Rollstühle oder dergleichen leisten zu
können; ein Land, in dem traumatisierte und dadurch arbeitsunfähige Veteranen (!)
am Straßenrand betteln müssen, um über die Runden zu kommen.
Konsequent, dass Herr Facius hier
auch nur noch von „Empathie für die
Gescheiterten und Kranken“ spricht: Wo man sozial Schwachen in der Not nicht
mehr finanziell beistehen will, hat man eben nur noch „Empathie“ – also ein
paar mitfühlende Blicke – übrig. Dass man sich davon aber nichts kaufen kann,
ist ebenso klar wie die Bedeutung, die sich in dem verächtlich anmutenden Terminus
der „Gescheiterten“ verbirgt: Wer in sozial schlechten Verhältnissen lebt, ist
gescheitert, hat versagt, ist also, mit anderen Worten, selber schuld.
Kollektive Verantwortung und Solidargemeinschaft adé. Zukünftig solle „der
Bürger dem Bürger in Not helfen“, „Freiwilligkeit vor ausschließlicher
Zwangssolidarität“. Im Klartext: Wer notleidet, kann höchstens noch auf
freiwillige Almosen hoffen; eine sichere finanzielle Basis für soziale
Organisationen und sozialstaatliche Instanzen gibt es nicht mehr. Rückfall ins
Mittelalter. Wer solche „Patrioten“ hat, braucht keine Antifa mehr.
Auf in den Niedriglohnsektor!
Schließlich der Abstecher in die
Wirtschaftspolitik, im Zuge dessen es weitergeht mit den neoliberalen
Prophezeiungen, die seit Jahrzehnten immer wieder erzählt werden, aber –
seltsamerweise! – nie eintreten: Steuererleichterungen für Unternehmen solle es
geben, dann seien quasi automatisch höhere Löhne zu erwarten. Bemerkenswert
nur, dass bekanntermaßen manche Großunternehmen hierzulande schon jetzt
buchstäblich überhaupt keine Steuern zahlen, der Niedriglohnsektor aber seit
Jahren anwächst. Bemerkenswert auch, dass die besagten Forderungen des Autors
schon von der durch die (durch und durch amerikanisierte und dafür bis heute
vom Wähler abgestrafte) Sozialdemokratie getragene Schröder-Regierung umgesetzt
wurden, die Schere zwischen Arm und Reich bis heute aber dennoch immer weiter
auseinanderdriftet.
Und wer meint, hier gehe es um
eine Dichotomie aus einheimischen Leistungsträgern versus zugewanderten
Leistungsempfängern, irrt: Vom Anwachsen des Niedriglohnsektors sind Deutsche
in mindestens gleicher Weise betroffen wie Migranten. So einfach, wie die
(Neo-)Liberalen in der AfD sich die Welt gerne machen wollen, ist sie nicht. Es
empfiehlt sich eben, die tägliche Lektüre nicht nur auf Tichys (fehlenden) Einblick
zu begrenzen.
Kein Weg für die AfD
In diesem Fall wäre es dann
vielleicht auch möglich, Verwechslungen zwischen metapolitischen Abhandlungen
und dem wahllosen Aneinanderreihen lange widerlegter neoliberaler Floskeln zu
vermeiden. Letzteres nämlich erreicht gegen Ende des hier kritisierten Textes
eine fast satirische Dimension: „Wer nichts macht, darf eben auch nichts
erwarten. (…) Hilf Dir selbst, dann hilft dir Gott – und nicht Hartz IV und der
Tag gehört dir! (…) Und… uns allen stünde es gut zu Gesicht, Unternehmer und
Gutverdiener als Quelle der Inspiration anzuerkennen — und nicht als
Klassenfeind. Im Gegensatz zu Taugenichtsen und anderen Linken, haben sie die
Ressourcen genutzt, die auch in vielen von uns stecken.“
Zu Gott könnte zumindest der christliche
Leser dieser Zeilen beten, dass derartige Sätze, die aus FDP-Flyern des spaßgesellschaftlichen
Jahres 2000 stammen könnten (ein Jahr später waren wir ja dann auch „alle
Amerikaner“), nicht eines Tages auch wieder in AfD-Wahlkämpfen auftauchen – im
traditionell (und richtigerweise) etatistischen Deutschland wäre der Absturz
der Partei in den klar einstelligen Prozentbereich gewiss. Und dies dann völlig
zu Recht: Warum etwa sollte ein älterer Langzeitarbeitsloser, den aufgrund
seines Alters keiner der ach so inspirativen Gutverdiener mehr einstellen
wollte, dann noch AfD wählen? Um sich von manchen ihrer Vertreter als nichts tuender
Taugenichts bezeichnen zu lassen?
Doch man darf beruhigt sein:
Das Wegbrechen des neoliberalen AfD-Flügels schreitet weiter voran, auf dem Weg
zu einer wahrlich sozialpatriotischen Kraft – und damit langfristig zu einer
echten Volkspartei. Es wird Zeit.
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