Präsident Trump und das Eherne Gesetz der Oligarchie

Donald J. Trump ist der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Nachdem gerade auch an dieser Stelle mehrmals kritisch über Hillary Clinton und in Teilen durchaus hoffnungsvoll über Trump und sein Programm geschrieben wurde, wird es nun Zeit für eine erste Bestandsaufnahme, welche sich auf nüchterne Weise der Frage annimmt, was von den Hoffnungen, die jene, in ihn hatten, die sich nicht von der neoliberal-neokonservativen Pro-Clinton-Propaganda der deutschen Medien haben anstecken lassen, nun übrig bleibt und wie die weitere Entwicklung der Trump-Präsidentschaft aussehen könnte.

Diese Aufgabe scheint umso relevanter deswegen, da von der Seite der etablierten deutschen Massenmedien noch immer nicht mit einer wirklich sachlichen und informierten Auseinandersetzung mit der Person Trump und seiner Administration gerechnet werden kann. Der traurige Tiefpunkt war vor wenigen Tagen erreicht: Ein amerikanischer „Top-Psychologe“ hatte Trump aus der Ferne die Diagnose „Maligner Narzissmus“ gestellt, was von den deutschen Medien bereitwillig aufgegriffen wurde. Binnen weniger Stunden war Trump plötzlich, versehen mit einem scheinheiligen Fragezeichen, „unheilbar psychisch krank?“. Manche spekulierten gar einfach gleich über „Wahnsinn“.

Die Information, dass vermutlich ein Großteil mindestens der männlichen Vertreter der politischen Klasse in den meisten Ländern der Welt und bis runter zur kommunalen Ebene an irgendeiner Form der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden dürfte, weil diese sich im Rahmen der Anforderungen an Politiker (Skrupellosigkeit und Eitelkeit) in einem quasi symbiotischen Sinne als funktional erwiesen hat, wird dabei von unserer kritischen Qualitätspresse, die nicht Lügenpresse genannt werden will, ebenso unterschlagen wie die Tatsache, dass selbst ein maligner Narzissmus nicht identisch ist mit „Wahnsinn“, welcher gemeinhin eine Art volkstümlicher Ausdruck für eine Psychose darstellt, also für eine psychische Störung mit einem Verlust der Realitätswahrnehmung und damit eine Erkrankung, an der ein Mann, der schon vor seinem politischen Leben viele Jahre in der Öffentlichkeit stand, wohl kaum so lange unerkannt leiden dürfte.

Auch die Tatsache, dass es sich bei dem ferndiagnostizierenden „Top-Psychologen“, der damit mal eben einen wichtigen therapeutischen Grundsatz beiseitegeschoben hat wie eine lästige Banalität, um einen Psychoanalytiker der durch und durch linksliberalen Johns-Hopkins-University an der durch und durch linksliberalen Ostküste der USA handelte, der eventuell seine eigenen politischen Motive für seine hochprofessionelle Ferndiagnose haben könnte, war für unsere kritische Qualitätspresse, die bei erstbester Gelegenheit wieder über „Fake News“ und „Alternative Facts“ jammert, nicht weiter von Relevanz.

Nein, dass mit solchen Medien eine nüchterne Bestandsaufnahme der Trump-Politik nicht zu machen ist, steht außer Frage. Was freilich nicht bedeuten muss, dass diese positiv ausfallen muss. Denn leider zeichnet sich hinsichtlich der Trump-Präsidentschaft eine Entwicklung ab, die aufgekommene Hoffnungen trübt und einen Prozess darstellt, den der legendäre Soziologe Robert Michels vor etwas mehr als über einem Jahrhundert mit dem „Ehernen Gesetz der Oligarchie“ treffend beschrieben hat.

Zwar mit Blick auf den Parteienstaat des Deutschen Kaiserreiches Anfang des 20. Jahrhunderts und speziell auf die SPD, beschrieb Michels darin, wie einst revolutionäre Ziele politischer Gruppen dadurch ausgehebelt werden, dass die sie führenden Akteure mit zunehmender Etablierung der Organisation primär für den Erhalt dieser, persönliche Vorteile und Machterhalt arbeiten, anstatt an der Verwirklichung der ursprünglichen Ideale, was machtpolitisch riskant wäre.

Es scheint nicht übertrieben oder pauschalisierend zu attestieren, dass sich das Eherne Gesetz der Oligarchie in zahlreichen Beispielfällen auch des modernen, bundesrepublikanischen Parteienstaates bestätigt hat. Die Entwicklung der Partei Bündnis 90 / Die Grünen von einer linksalternativen Öko-Partei zur neoliberalen, kriegsführenden Agenda-2010-Partei, die alte Prinzipien der Reihe nach zugunsten eines linksliberal-neokonservativen Globalismus über Bord warf, wirkt wie eine gezielte Bestätigung der Michels-Thesen. Und auch gewisse Landesverbände der Partei Die Linke in den neuen Bundesländern, in denen es die Partei besonders darauf anlegt, als „regierungsfähig“ und als „seriöser Koalitionspartner“ wahrgenommen zu werden, können als eindrucksvolle Beispiele für die Richtigkeit des Ehernen Gesetzes gewertet werden.

In den USA deutet sich derzeit ein weiteres solcher Beispiele an. Zwar haben wir es dort nicht mit einem „Parteienstaat“ im deutschen Sinne zu tun, da in Relation gesehen Parteien dort als solche weniger Einfluss auf die Politik entfalten als es hierzulande der Fall ist. Doch die Mechanismen, die im Besonderen auf dem Vorhandensein eines seit langem etablierten Establishments basieren, sind im Großen und Ganzen die gleichen.

Mit der Wahl Donald Trumps hatte sich zunächst eine kleine Revolution angedeutet: Gewählt wurde ein Präsidentschaftskandidat, der die seit einem halben Jahrhundert gepflegten Gewissheiten der amerikanischen Politik in nicht wenigen Punkten gründlich in Frage stellte. Trump vertrat im Wahlkampf den Ausgleich mit Russland und Syrien, kritisierte die Wall Street und die Banken-Nähe seiner Gegenkandidatin sowie die Freihandelspolitik inklusive TTIP, stand für ein „neutrales“ Verhältnis zu Israel, kritisierte die NATO und den Irak-Krieg seines Parteifreundes George W. Bush und stand für eine ausgeprägte Infrastrukturpolitik im keynesianischen Sinne.

Nach Trumps Wahlsieg im November 2016 und seiner sich in den Wochen danach vollziehenden Personalpolitik schien sich zunächst abzuzeichnen, dass der gewählte Präsident Ernst macht: Der in den kritischen Punkten auf seiner Linie (und mit dem republikanischen Establishment eher im Clinch) liegende Steve Bannon wurde zum Chef-Strategen im Weißen Haus ernannt (als Gegenspieler des neuen Stabschefs und GOP-Establishment-Mannes Reince Priebus), der russlandnahe Ex-General Mike Flynn wurde Nationaler Sicherheitsberater – ein außenpolitisches Signal von beträchtlicher Tragweite.

Doch spätestens wenige Tage nach seiner Vereidigung als Präsident begann Trump, sich schrittweise von mehreren der oben genannten Wahlkampf-Positionen zu entfernen. Die Bankenregulierung wird sogar gelockert, hier offenbart sich eine direkte Wahlkampf-Lüge Trumps. Der reaktionären Siedlungsbaupolitik der israelischen Netanjahu-Regierung wurde, zu deren Freude, ausdrücklich der Rücken gestärkt, mit dem sofortigen Effekt einer weiteren Radikalisierung der israelischen Siedlungsambitionen und damit einer weiteren Sabotage des Friedensprozesses in Nahost – von einem „neutralen Verhältnis“ kann keine Rede mehr sein, was allerdings schon während des Wahlkampfs immer mehr absehbar gewesen war, wenn man Trumps Anti-Iran-Kurs aufmerksam verfolgt hat. Auch an der NATO wurde nicht mehr gerüttelt. Einzig mit den Ankündigungen zur Infrastrukturpolitik und mit seiner Ablehnung des Freihandels scheint Trump es ernst gemeint zu haben. Im Verhältnis zu China schlägt Trump weiterhin – was aber auch ehrlicherweise schon im Wahlkampf angekündigt worden war – einen (zumindest ökonomischen) Eskalationskurs ein.

Im Falle des amerikanisch-russischen Verhältnisses dufte man zunächst auch noch nach der Amtsübernahme Trumps hoffen: Wiederholt hatte er sich im Wahlkampf positiv und deeskalierend gegenüber Russland geäußert, auch mit Blick auf eine Zusammenarbeit gegen den IS in Syrien. Die Befürchtungen der US-Geheimdienste hinsichtlich Trumps Verhältnis zu Russland – welche sogar dazu geführt hatten, dass amerikanische Geheimdienstler israelische Kollegen vor der Weitergabe sensibler Informationen an das Weiße Haus und den Nationalen Sicherheitsrat (dem der oben genannte Russland-Freund Mike Flynn vorstand) gewarnt hatten, weil man angeblich nicht sicher sein könne, dass diese dadurch nicht schließlich direkt in Moskau landen – schienen die Glaubwürdigkeit des neuen Kurses noch zu bestätigen.

Doch vor wenigen Tagen auch hier die Kehrtwende: Flynn musste zurücktreten, nachdem ihm im Rahmen seiner Russland-Nähe mehrere politische und vermeintlich strafrechtliche Verfehlungen vorgehalten worden waren. Wer auch immer seine Nachfolge antritt: Nicht nur russischen Politikern, die auf den Flynn-Rücktritt empört reagieren, ist klar, dass hier – ganz egal ob tatsächliche strafrechtliche Verfehlungen vorliegen oder nicht – auch ein politisches Exempel statuiert wurde, das darauf hindeutet, dass hier ein weiteres Element der erhofften kleinen politischen Revolution in der US-Außenpolitik weggebrochen ist und durch außenpolitische Kontinuität ersetzt werden soll.

Wir erleben ein weiteres Beispiel für das Eherne Gesetz der Oligarchie: Die Oligarchie, das ist in diesem Falle des Establishment der Republikanischen Partei, das – ausgenommen vielleicht noch Steve Bannon, aber verkörpert durch Akteure wie Reince Priebus und Vize-Präsident Mike Pence – an den entscheidenden Stellen des neuen Regierungsapparates sitzt und nun langsam, mit allen Wassern der politischen Intrige gewaschen und gestärkt durch den Bedarf Trumps nach regierungspolitischer Expertise, im Rahmen dessen dieser nur auf erfahrenes republikanisches Personal zurückgreifen kann, seine traditionelle Linie durchsetzt. In manchen Fällen vermutlich mit Trumps Segen (Banken), in manchen Fällen gegen ihn (Russland) und in manchen Fällen nur begleitet durch sein Desinteresse und seine Gleichgültigkeit (Nahost).

Trump und seine Getreuen werden, jetzt in diesem Moment, immer weiter „vom System aufgesogen“. Die Oligarchie sorgt dafür, dass alles binnen kürzester Zeit wieder in gewohnten Bahnen verläuft und die revolutionären Positionen des Wahlkampfes reine Semantik bleiben, die schnell vergessen wird. Hilfreich dabei ist auch das amerikanische Parteiensystem: Anders als in (Kontinental-)Europa ist es dort für eine neue Partei quasi unmöglich, politische Erfolge zu verbuchen. Man hat keine Wahl, als sich innerhalb einer der beiden großen Parteien zu bemühen – und scheitert deswegen allerspätestens dann, wenn man auf das Establishment (die Oligarchie) trifft. Im Falle des hoffnungsvollen (und als Politiker deutlich authentischeren) Sozialisten Bernie Sanders verlief dieses Zusammentreffen kurz und brutal; im Falle Trump verläuft es nun, bedingt durch seine Vorwahl- und Wahlerfolge, subtiler, aber dennoch ebenso effektiv.

Hierin liegt nun übrigens auch das große Missverständnis der deutschen Medien gegenüber dem, was durch die Trump-Administration auf uns zukommt. Im Gegensatz zu dem, was uns die quasi apokalyptischen Ankündigungen der sich seit einem Jahr in chronischer Schnappatmung befindenden deutschen Qualitätspresse glauben machen wollen, befinden wir uns auch weiterhin nicht vor einem Dritten Weltkrieg – und auch eine „nationalistische“ Wende der USA wird ausbleiben, ebenso wie das vom Springer-Konzern zitternd befürchtete „Ende der liberalen Weltordnung“.

Was wir erleben werden – zur Freude von Springer, zum Schaden der Welt – ist außenpolitische Kontinuität. Donald Trump ist weder ein „Irrer“ noch ein „Revolutionär“ – er wird ein weiterer republikanischer Präsident werden, der republikanische Politik macht. Wahrscheinlich etwas weniger neokonservativ als Bush und etwas mehr im Sinne der realistischen Strömung der US-Außenpolitiker, vielleicht mit etwas populistischerer und brachialer Rhetorik, aber sonst im Großen und Ganzen in der Tradition seiner Vorgänger (sei es nun auf der Basis eigener Überzeugung oder aus opportunistischen Gründen, zwecks Machterhalt). Sein Partei-Establishment, seine Oligarchie wird dafür sorgen. 

Ist in Hinblick auf einen echten politischen Wandel in den USA also endgültig „Hopfen und Malz verloren“? Womöglich. Abschließende Prognosen sind riskant und Politik ist stets im Fluss. Sicher feststellen lässt sich aber, dass das bereits auf die Bundesrepublik zutreffende Eherne Gesetz der Oligarchie in den Vereinigten Staaten genauso Gültigkeit besitzt (ja, sogar womöglich noch mehr als hierzulande), und dass das politische System der USA äußerst wirkmächtige Mechanismen entfalten kann, um grundlegenden Wandel in den entscheidenden (außen-)politischen Fragen langfristig zu verhindern. So hoffnungsvoll mancher sich in Europa abzeichnende politische Wandel ist, so vergeblich scheinen entsprechende Bemühungen in den USA zu sein. Europa seinerseits täte gut daran, diese Bedingungen zu bedenken – und eine grundlegende weltpolitische Neuausrichtung in Erwägung zu ziehen.

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