Wieso die AfD nicht für politische Gewalt verantwortlich ist
Eine sozialpsychologische Lektion
Seit dem Mord an Walter Lübcke
und dem Anschlag von Halle an der Saale überbieten sich Politiker der
Altparteien wie auch Medienvertreter darin, der AfD eine Mitschuld an den Taten
zuzuweisen. Besonders beliebte Formulierung dabei: „Geistige Brandstifter“.
Vertreter der AfD reagieren darauf nicht selten, indem sie ihrerseits
martialische Formulierungen von Vertretern der Altparteien gegen die AfD („Bis
auf’s Messer bekämpfen“ etc.) zitieren und den Vorwurf aussprechen, dass damit
linksextreme Gewalt angeheizt werde. Diese rhetorische Strategie ist nicht nur
unklug, weil sie das Argumentationsmuster von Altparteien und
Establishment-Medien selbst verwendet und damit – im Umkehrschluss – bestätigt.
Sie ist auch wenig sinnvoll, da eine sachliche, gewaltsoziologische und
sozialpsychologische Betrachtung von Vorfällen politischer Gewalt ganz andere
Faktoren beleuchten müsste – und am Ende sogar gerade deswegen der AfD Recht
gibt.
Primitive Dualismen
In der vom globalistischen
Grundkonsens ideologisierten Perspektive von Altparteien, Establishment-Medien
und anderen linksliberalen Eliten klingt sehr häufig eine Vorstellung durch, die
klingt, als sei die AfD seit 2013 gewissermaßen direkt aus den Toren der Hölle
über die deutsche Gesellschaft gekommen – finster, dämonisch und vor allem:
Ohne jeden plausiblen Grund. Wie das leibhaftige, zu vernichtende Böse, das
eben einfach da ist, weil es böse ist und es das Böse eben schon immer gab. Im
nächsten Schritt sind da schließlich die Sprecher des Bösen, die prominenten
Vertreter der AfD, die aufgrund ihrer teils drastischen Wortwahl „zu Gewalt
anheizen“, „aufhetzen“, „Öl ins Feuer gießen“ und „geistig brandstiften“. Die jeweiligen
Täter, die tatsächlich die Gewalt ausüben, sind quasi willenlose Marionetten,
die auf den Fingerschnips der „AfDämonen“ hin ihre Bluttaten verüben, während
die Parteispitze händereibend und gruselig lachend in ihrem finsteren Gewölbe
sitzt.
Ein blumiges Bild, fürwahr – aber
eines, das in seiner naiven, unterkomplexen
Zeichentrickfilm-Schurken-Atmosphäre genau das Narrativ nachzeichnet, das die
Propaganda des vereinigten Establishments von den Verhältnissen rechts der
politischen Mitte zeichnet. Derweil laufen zig Menschen – teils Akademiker;
Menschen mit Universitätsabschlüssen – diesem Schreckensszenario hinterher, und
halten sich allen Ernstes für „mutig“ und „zivilcouragiert“, wenn sie darauf
basierend AfD-Sympathisanten aus dem öffentlichen Leben exkludieren, was das
Zeug hält. Endlich darf man mal das personifizierte Gute sein, wie damals als
Kind, als man seinen Zeichentrickhelden nachgeeifert hat. Die Erfüllung
kindlicher Sehnsüchte, Jahrzehnte später – und sei es Form übelster und
feigster Demagogie, sei es denunzierend, anonym und ohne Gesicht zu zeigen.
Das Füllen politischer Marktlücken
Die Realität ist jedoch, wie so häufig,
komplexer. Richtet man einen nüchternen, weder von linken noch von rechten
politischen Prämissen verklärten, wissenschaftlichen Blick auf unser
politisches System, so muss man zunächst einmal feststellen, dass das Aufkommen
neuer Akteure in diesem nichts anderes als das Ausfüllen politischer
Marktlücken bedeutet. Das Parteiensystem der BRD ist mit drei größeren Parteien
gestartet: CDU/CSU, SPD und FDP. Drei weitere große Parteien kamen im Laufe der
bundesrepublikanischen Geschichte hinzu: Die Grünen Anfang der 1980er Jahre,
die PDS (zuvor SED, heute Die Linke) Anfang der 1990er Jahre und schließlich
die AfD Mitte der 2010er Jahre.
In all diesen Fällen lässt sich
attestieren, dass die betreffenden Parteien politische Marktlücken gefüllt
haben. Das Feld der Umwelt- und der Friedenspolitik wurde in den 70er Jahren
von keiner der bis dato etablierten Parteien glaubwürdig ausgefüllt, was 1980 die
Grünen ins Spiel brachte. Die PDS kam gewissermaßen als Sprecherin der
untergegangenen DDR ins bundesdeutsche Parlament, erlebte aber mit der Mutation
zur Partei Die Linke im Jahr 2007 ihre Etablierung als stabile gesamtdeutsche
Partei, was vor allem der rot-grünen Hartz-Reform wenige Jahre zuvor geschuldet
war, die massenhaft Menschen mit dem (richtigen) Eindruck zurückließ, dass man
bei SPD und Grünen nicht mehr mit einer Politik der sozialen Gerechtigkeit
rechnen kann.
Die Gründung der AfD im Jahr 2013
schließlich erfolgte unter dem Eindruck der Eurokrise, in der nahezu alle
etablierten Parteien – wenige „Eurorebellen“ und Teile der Linken ausgenommen –
wie ein einziger, homogener, eurokratischer Block agiert und gezeigt hatten,
dass sie mehr oder weniger alle, höchstens unterschieden durch gewisse
Akzentsetzungen in Detailfragen, den Euro, die Bankenrettung und die
Transformation der EU zum Superstaat früher oder später befürworteten. Es
folgte die Flüchtlingskrise 2015, in der wiederum sämtliche Altparteien
einmütig Grenzöffnung und massenhafte Zuwanderung absegneten bis frenetisch
willkommen hießen.
Millionen Deutsche sehnten sich
nach einer Alternative, und viele von ihnen taten genau das, was demokratische
Bürger in einem demokratischen Parteiensystem genau dann tun sollten: Sie
wählten eine legale, demokratische Partei, die diese Alternative anbietet, ins
Parlament. Diese legale demokratische Partei tut seitdem das, was ihr
demokratischer Auftrag ist: Sie artikuliert den aufgekommenen Protest in
demokratischer Weise, über parlamentarische Arbeit, über öffentliche Auftritte
und Wahlkampf, über demokratische Willensbildung. Die AfD ist das direkte
Resultat von Missständen, die Teile des demokratischen Souveräns, des Volkes,
in unserem Lande ausgemacht haben; sie ist die direkte Folge der Fehler der
anderen. Sie ist das notwendige Korrektiv zu einer fehlerhaften Politik, so wie
in den 1980er Jahren die Grünen und in den 2000er Jahren die Linkspartei als
Korrektive institutionalisiert wurden (ob sie diese Aufgabe dann auch
tatsächlich erfüllt haben, ist freilich eine andere Frage).
Ein demokratisches Ventil
Mit anderen Worten: Die AfD
erfüllt als fundamentale Oppositionspartei, als Protestpartei und hoffentlich
bald auch als gesamtdeutsche Volkspartei eine ur-demokratische Funktion. Und
dies nicht nur durch ihre oben beschriebenen Aktivitäten, sondern nicht zuletzt
und gerade auch durch das Artikulieren von Wut! Ja, es stimmt: In der AfD
finden sich viele wütende Menschen. Menschen, die aufrichtig frustriert sind
über das, was in ihrem Lande passiert; gewiss auch Menschen, die selbst
(deswegen) einiges negatives erleben mussten. Kann man ihnen diese Wut zum
Vorwurf machen? Was ist denn diese Wut anderes als die natürliche Reaktion von
Menschen, die eben nicht satt und selbstzufrieden an den Fleischtöpfen der
Eliten sitzen, wie es bei den Altparteien der Fall ist? Die AfD kanalisiert
diese Wut; ja mehr noch: Sie lenkt sie um in konstruktive demokratische
Aktivität. Jeder einzelne Stammtisch, jede wütende Pressemitteilung, jede
Veranstaltung, jede Rede, in der tüchtig geschimpft wird, ist eine Art des
Kanalisierens, die eben nicht
gewalttätig ist, die nicht zu
Straftaten führt, die nicht Menschen
schadet – sondern eine, die verfassungsmäßig garantierte Grundrechte nutzt und
diese in legale Bahnen lenkt.
Eine geläufige, nicht allzu
komplexe psychologische Hypothese zur Entstehung von Gewalt, die der Autor
dieser Zeilen auch in mehreren eigenen Seminaren zur Entstehung politischer Gewalt behandelt hat, bietet die
sogenannte Frustrations-Aggressions-Theorie, die von einer einfachen
Proportionalität ausgeht: Je mehr Frustration sich anreichert, desto
wahrscheinlicher wird am Ende die Aggression sein. Der Mensch gleicht dabei
einem brodelnden Dampfkochtopf: Wenn die Frustration kein Ventil findet, wird
sie sich weiter anreichern.
Die AfD bietet hier ein legales,
zivilisiertes und demokratisches Ventil. Es ist also mitnichten anzunehmen,
dass – selbst scharf, polemisch oder martialisch klingende – Wortmeldungen von
AfD-Politikern Gewalt anheizen. Vielmehr dürften sie als Mittel des
Kanalisierens rezipiert werden, das den zu Recht wütenden Bürgern im Lande das
Gefühl gibt, endlich gehört zu werden, endlich wieder eine politische Stimme zu
haben – was am Ende eben jene Wut mindert
und sie eben nicht anheizt! Denkt man diese Logik weiter, so mag man sich gar
nicht vorstellen, was in Deutschland mittlerweile los wäre, wenn es die AfD
nicht gäbe – und wenn damit diese Möglichkeit des kollektiven Kanalisierens
fehlen würde. Dabei muss man es sich nicht einmal vorzustellen versuchen. Denn
der empirische Fall, der genau dies illustriert, liegt längst vor.
Wenn das Ventil fehlt
So ist etwa die These, dass die
Entstehung und die jahrzehntelang währende Gewalt der Rote-Armee-Fraktion (RAF)
nichts anderes war als eben das Resultat fehlender politischer Repräsentation,
ja sogar schärfster Repression, durchaus sinnig. Obwohl die
Außerparlamentarische Opposition (APO) und die 68er-Studentenbewegung, die sie
repräsentierte, ebenso wenig an der Gewalt der RAF schuld war die wie AfD am
Lübcke-Mord oder am Anschlag von Halle schuld ist, erlebte sie (schon vor der
RAF-Gründung) drastische staatliche Maßnahmen, die damals ebenso
unverhältnismäßig waren wie heute die Repression gegenüber der AfD und ihren
Mitgliedern, die sich heute wieder – wie damals – etwa in
De-Facto-Berufsverboten manifestiert. Die Linken der 70er Jahre allerdings
waren nicht einmal parteipolitisch repräsentiert, sondern wurden selbst aus der
SPD strikt exkludiert. Das BRD-Parteiensystem war nicht imstande, weite Teile
des Volkes in sich zu repräsentieren, was (ähnlich wie in anderen Teilen
Europas zu jener Zeit) zur Entladung der Wut in Form politischer Gewalt führte
– einer Gewalt, die übrigens die heutige rechtsextreme Gewalt deutlich
übertraf.
Es steht zu befürchten, dass es
mit anwachsender staatlicher, medialer und „zivilgesellschaftlicher“ Repression
gegenüber AfD-Mitgliedern und -Sympathisanten, die eben de facto dazu führt,
dass demokratisch-legale Mechanismen des politischen Kanalisierens nicht mehr
frei genutzt werden können, auch in Zukunft vermehrt zu Fällen kommen wird, im Rahmen
derer „die Wut überkocht“. Die psychisch Stabilen, die bürgerlich Lebenden, die
Vernünftigen, die „Angekommenen“ werden auch weiterhin ihre Möglichkeiten
rechter demokratischer Partizipation nutzen, soweit es ihnen möglich ist.
Die eigentliche Gefahr
Aber die Gefahr, dass eben jene
Minderheit, die nicht so stabil ist, die sich womöglich in prekären
Lebensumständen befindet, der es, kurz gesagt, nicht gut geht, irgendwann ihre
Aggression über die gesellschaftliche Exklusion auf andere Weise kanalisiert,
wird mit wachsenden Repressalien zunehmen. Doch dies läge dann, wie gesagt,
eben nicht in der Verantwortung der AfD, die nichts anderes tut, als ihren
demokratischen Wählerauftrag zu erfüllen, sondern in der jener Akteure, die auf
kurzsichtigste Weise immer weiter daran arbeiten, Millionen von Deutschen aus
dem politischen Leben auszuschließen. Man kann nur wünschen und hoffen, dass es
so weit nicht kommt, und dass die bisher so ungeschickt agierenden
Verantwortungsträger die beschriebene Dynamik endlich selbst erkennen.
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