Politischer Streik als Protestform

Von Linken lernen

Die politische Atmosphäre in Deutschland kocht. Nach der Solidarisierung der AfD mit den Bauernprotesten und dem medialen Aufbauschen des „Geheimtreffens“ in Potsdam, bei dem letztlich nicht mehr besprochen wurde, als man in den Sezession-Heften und -Blogbeiträgen der letzten Jahre zum Thema Remigration nachlesen kann, überbietet sich das politische Establishment mit restriktiven Forderungen gegen die einzige echte deutsche Oppositionspartei. Auch ein AfD-Verbot soll jetzt „geprüft“ werden, auch wenn derlei Säbelrasseln keine realistische Grundlage haben dürfte. Es wird deutlich: Die Blockparteien haben Angst, große Angst. Das Wahljahr 2024 könnte bedeuten, daß AfD-Politiker in zig Rathäuser und Landratsämter einziehen, ja daß sie vielleicht sogar eine Landesregierung stellen könnten. Tiefgreifender Wandel könnte der Republik bevorstehen.

Die AfD und die Protestbewegungen

Die politische Rechte hat in den letzten Jahren gelernt, daß die gutbürgerliche Etepetete-Distanziererei eines Meuthen von Protestbewegungen alles andere als sinnvoll ist. Seien es die Corona-Proteste oder diejenigen gegen Inflation und Energiepolitik: Die AfD ist mit den Protestbewegungen gut vernetzt, in einer Weise, von der die Grünen und Linken bei all jenen sozialen Bewegungen, die wirklich graswurzelmäßig aus dem Volk kommen und nicht letztlich bildungsbürgerliche Folklore sind, nur träumen können. Auch bei Bauernproteste deuten sich da, wo die AfD stärker ist, Vernetzungen an; in linkeren Sphären dominiert bei vielen Bauern dagegen noch die Angst vor Kontaktschuld.

In jedem Fall aber kann festgehalten werden, daß die AfD auf die eine oder andere Weise, mal offen, mal einfach durch Personalunion, „auf der Straße“ präsent ist – sie ist Bewegungspartei und darin durchaus glaubwürdig. Ihre Wählerschaft rekrutiert sich nicht, wie früher einmal von Lucke, Meuthen und Co angedacht und heute noch von ein paar „Bürgerlichen“ herbeigeträumt, aus den „Großkopferten“, sondern aus den „Somewheres“ – die AfD ist sozialstrukturell und demoskopisch gesehen die einzige wirkliche Arbeiterpartei in den Parlamenten. Kontakte zu Großunternehmern sind so selten, daß sie gleich besondere Schlagzeilen darstellen (Stichwort Müller-Milch – die Ausnahme bestätigt die Regel), ansonsten dominieren eher Kontakte in den wahrhaft „unternehmerischen“ wirtschaftlichen Mittelstand. Die wirtschaftlichen Konzerneliten profitieren zu sehr vom Globalismus, als daß sie sich mit der AfD anfreunden könnten – und wenn es einzelne Sympathisanten geben mag, dominiert bei diesen die übliche Feigheit derjenigen, die sozioökonomisch gesehen zu viel zu verlieren haben.

Solidarisierung mit Arbeitnehmern

Doch so sehr die AfD bei den Protestbewegungen angekommen ist, so sehr herrscht doch auch noch eine gewisse habituelle Distanz insbesondere auf der Funktionärsebene gegenüber der sozialen Schicht, die die Wählerschaft dominiert. Das bedeutet kein Naserümpfen oder gar Herablassung, wohl aber ein gewisses „Fremdeln“ mit den sozioökonomischen Interessen jener, die primär AfD wählen. Und hier geht es nicht lediglich um die Frage der Agrarsubventionen, sondern noch mehr um die des Sozialstaates und der sozialen Gerechtigkeit. Es wird – wie der Verfasser dieser Zeilen schon andernorts oft feststellte – Zeit, bei sozialer Gerechtigkeit nicht nur in „Steuererleichterungen für die Mittelschicht“ zu denken, sondern auch in sozialen Transferleistungen, deren nötige Fokussierung auf deutsche Staatsbürger nicht bedeuten kann, das Kind mit dem Bade auszuschütten und sie ganz einzustampfen.

Doch nicht nur in der Frage der Inhalte und der Programmatik, sondern auch in der der Protestformen wäre es durchaus gewinnbringend, in selektiver Weise von den Linken zu lernen. Und dabei geht es nicht nur um die in der politischen Rechten dank Schnellroda mittlerweile viel thematisierte Relevanz des politischen Vorfelds und der Metapolitik, sondern auch um ganz konkrete Protestformen. Rechte können demonstrieren. Daran kann niemand mehr einen Zweifel haben – so weit, so gut. Doch können sie auch streiken?

Streik ist in diesen Tagen – und nicht erst in diesen, sondern schon seit ein paar Jahren – wieder ein fester Begriff der Alltagsnachrichten geworden: Im letzten Jahr die EVG, derzeit die GDL. Und auch in anderen Bereichen, etwa dem Gesundheitsbereich und dem öffentlichen Dienst, lesen wir in Regelmäßigkeit Nachrichten über neue ökonomische Streiks, insbesondere im Kontext der Inflation und daher erfolgender und absolut legitimer Forderungen nach Lohnausgleich. Nimmt man diese Entwicklungen ebenso zur Kenntnis wie die oben beschriebene Feststellung der AfD als neuer Arbeiterpartei, so kann die logische Schlussfolgerung nur lauten, daß wir uns in stärkerem Maße mit den Streikenden solidarisieren müssen: Die AfD muß weg von ihrem – von den strategisch klügeren Linken immer mal wieder vorgeworfenen – Lucke-Überbleibsel-Image einer Partei der sozialen Kürzungen hin zu einer politischen Kraft, die auch programmatisch als Partei wahrgenommen wird, die auf der Seite der eigentlichen (!) sozial Schwachen im Lande steht: Der arbeitenden deutschen Mehrheit. Auch aus diesem Grunde sollte die AfD schleunigst dazu übergehen, sich entweder in Gewerkschaften und Betriebsräten zu etablieren oder aber, wo dies nicht möglich ist, eigene gewerkschaftliche Strukturen aufzubauen.

Politischer Streik ist rechtlich umstritten

Doch die nötige Öffnung zu Anliegen und Methode des Streiks hat auch noch eine andere Dimension: Neben der des ökonomischen Streiks, welche in der Bundesrepublik üblich und arbeitsrechtlich legitim ist, existiert auch die des politischen Streiks, also eines Arbeitskampfes, der auf die Durchsetzung politischer Forderungen abzielt. Nun ist genau gesehen auch ein ökonomischer Streik immer auch politischer Natur – im öffentlichen Dienst sowieso, aber auch in anderen Bereichen, die politische Effekte haben (Stichwort Deutsche Bahn und klimafreundliche Mobilität). Dennoch kann auch der „direkte“ politische Streik ein machtvolles Mittel sein – jedenfalls dann, wenn die soziale Bewegung der Streikenden über eine gewisse Quantität verfügt.

Eine Partei, die in den Umfragen bei um die 20 % und in Teilen Mitteldeutschlands bei deutlich über 30 % steht, hätte in diesen Dimensionen ein machtvolles Mittel, politische Veränderungen durchzusetzen, denn ein politischer Streik in dieser Größenordnung wäre zumindest in Ländern wie Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg volkswirtschaftlich stark spürbar. Der Haken: Er wird in der herrschenden juristischen Meinung als arbeits- wie auch als verfassungsrechtlich rechtswidrig angesehen und wäre daher ein „rabiates“ Mittel (in einer Liga mit einem AfD-Verbot seitens des Staates). Wohlgemerkt: Die Rechtswidrigkeit (nicht zu verwechseln mit „Strafbarkeit“) bezieht sich nur auf das Arbeitsverhältnis (Studenten oder Schüler etwa können ganz problemlos „politisch streiken“ – so richtig „verboten“ ist der politische Streik eben auch in Deutschland nicht). In Zeiten des Fachkräftemangels wäre allerdings in Frage zu stellen, ob Arbeitgeber es sich leisten könnten, großflächig politisch Streikende einfach zu feuern.

Die neue Klassengesellschaft

In protestfreudigen Ländern wie Frankreich ist der Generalstreik ein probates Mittel, um politische Forderungen zu artikulieren und durchzusetzen, und auch in anderen Ländern ist man in dieser Frage weitaus rebellischer als im immer noch zutiefst obrigkeitshörigen Deutschland. Auch in der „preußisch-konservativen“ AfD dürfte es viele geben, die mit einer solchen Protestmethode schon rein kulturell-habituell fremdeln. Das allerdings ist unklug bis schlicht dumm: Vergibt man sich damit doch eine Methode der Protestkommunikation, die in anderen Ländern, aber auch in der deutschen Geschichte schon machtvolle Wirkungen entfaltet hat: So verhinderte die politische Linke in der Weimarer Republik auf diese Weise des Erfolg des sogenannten Kapp-Putsches. 

Die sozialstrukturelle Analyse der tiefen Gräben, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie auch in den USA mittlerweile zwischen globalistischem Establishment einerseits und rechtspopulistischen Akteuren andererseits bestehen, macht immer auch deutlich, daß wir im Grunde in neu strukturierten, aber sozioökonomisch gesehen immer noch so zu bezeichnenden Klassengesellschaften leben: Differenziert in die Ober- und obere Mittelschicht der linksliberal-kosmopolitischen Anywheres, die die Eliten stellen, und die Unter- und untere Mittelschicht der konservativ-rechten Somewheres, die der Globalismus entwurzeln, politisch marginalisieren und sozial atomisieren will. Hier verlaufen die sozialen Grenzen. Es wird Zeit, daß wir diese als solche erkennen – und uns der Methoden bewußt werden, die dieser neuartige, auf den Kopf gestellte politische Klassenkampf aufnötigt: „Nur in der Gewitterluft der revolutionären Periode vermag sich nämlich jeder partielle kleine Konflikt zwischen Arbeit und Kapital zu einer allgemeinen Explosion auszuwachsen“ (Rosa Luxemburg).

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