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Abschied vom Liberalismus

Der Spiegel-Journalist Veit Medick ist ein geradezu idealtypischer Vertreter seines Berufsstandes im Deutschland des Jahres 2016*. Werdegang: Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen studiert, Volontariat bei der taz, jetzt Redakteur bei Spiegel Online. Doch nicht nur seine Vita ist bilderbuchmäßig, sondern auch sein Schreibstil: In einem noch recht neuen Artikel über Donald Trumps Strategie bezeichnet er dessen Zielsetzung, amerikanische Arbeitsplätze vor den Gefahren der Globalisierung schützen zu wollen, als „nationalistisch“. Zum Ausdruck kommt in dieser für sich allein genommen recht belanglosen Meinungsäußerung eines nicht wirklich prominenten Journalisten nicht einfach nur eine Position, die – abermals wie aus dem Bilderbuch – von der ignoranten Arroganz einer massenmedialen Elite kündet: Heimische Arbeitsplätze vor der Globalisierung schützen zu wollen, wo diese uns doch ausschließlich liberale Aufklärung und weltbürgerlichen Kosmopolitismus bringt – pfui, wie k

US-Wahlkampf: Die mediale Doppelmoral und das Ende eines Kampfbegriffes

Mehr als je zuvor geht es im Zuge der maßgeblichen politischen Diskurse des 21. Jahrhunderts um Definitions- und Deutungshoheiten: Wer besetzt welche Begriffe wie und auf welche Weise? Welche Begriffe werden dadurch politisch inkorrekt? Welche eignen sich fortan als semantische Instrumente, um die andere Seite politisch zu diskreditieren und sie somit aus dem Diskurs auszuschließen? In Europa erlebten wir die Wirkungsmacht dieser Fragen zuletzt am Beispiel von Begrifflichkeiten wie „pro- / anti-europäisch“ oder „rechtspopulistisch“, in der Außenpolitik versuchen gerade westliche Staaten gerne, den unbequemen Begriff des „Krieges“ durch „Intervention“ zu ersetzen und Minderheiten erhalten alle paar Jahre wieder eine neue Bezeichnung, da die alte inzwischen wieder zur Beleidigungsform auf Schulhöfen verkommen ist („Ey, bist du behindert oder was?“). Zugleich erlauben derlei sprachpolitische Umwälzungen, sich als progressiv und liberal zu profilieren, indem man jene, die sie nicht sch

Als Habermas den herrschaftsfreien Diskurs beendete – Zum Tode von Ernst Nolte

Am 18. August starb der umstrittene – wenn nicht gar umstrittenste – deutsche Historiker Ernst Nolte. Ein Name, der auch für viele, die in keiner Verbindung zu einer Geisteswissenschaft stehen, automatisch mit dem legendären Historikerstreit der 80er Jahre assoziiert wird, in dem sich führende deutsche Intellektuelle um die Auslegung und den geschichtspolitischen Umgang mit dem Holocaust stritten. Die Auseinandersetzung ging weit über eine „normale“ wissenschaftliche Kontroverse hinaus: Es fielen Revisionismus- und sogar Antisemitismus-Vorwürfe, die zur Folge hatten, dass insbesondere Nolte in den Jahren danach bis zu seinem Tod in der Historiker-Gemeinde zusehends isoliert war. Was war geschehen? Nolte hatte in seinem berühmt gewordenen FAZ-Aufsatz „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ die Frage gestellt, ob nicht der „Klassenmord der Bolschewiki“ das „logische und faktische Prius des Rassenmords der Nationalsozialisten“ und der „Archipel Gulag nicht ursprünglicher als Auschwi

PTBS als gefühlter Kontingenz-Verlust

Die Begriffe „Komplexität“ und „Kontingenz“ sind nicht nur Schlüsselbegriffe der soziologischen Systemtheorie, sondern beschreiben zugleich sowohl menschliche Grundbedürfnisse als aber auch gravierende Problematiken des sozialen Zusammenlebens von Menschen. Die komplexer werdende postmoderne Gesellschaft macht Menschen krank, die ein Bedürfnis nach mehr Berechenbarkeit im Leben haben. Auch Unterkomplexität kann Menschen belasten: Etwa dann, wenn ein tiefsinniger Mensch ein zu oberflächliches Umfeld hat und sich darin einsam fühlt. Doch soll es hier nicht um die Frage der Komplexität gehen, sondern um den anderen Teil des Begriffspaars, welcher allerdings mit dem Begriff der Komplexität eng verbunden ist: Um Kontingenz. Kontingenz wiederum bedeutet ungefähr so viel wie „soziale Offenheit und Ungewissheit“. Wieder ein Phänomen, das mit der Postmoderne in Verbindung steht: Die freier und individualistischer gewordene Gesellschaft ist nicht nur komplexer bzw. komplizierter, sondern dad

Wenn alle alles können und dürfen sollen

Die Postmoderne als Auflösung von Grenzen jeder Art Die Bedeutung des Begriffes der „Postmoderne“ ist bereits durch die Problematik ersichtlich, die sich um ihn rankt. Oft wird ihm vorgeworfen, zu unbestimmt zu sein: Niemand wisse so recht, was das denn eigentlich sein soll. Kurios ist hierbei nun die Tatsache, dass es gerade die gesellschaftliche Unbestimmtheit ist, die dieser Begriff – u. a. – zum Ausdruck zu bringen versucht. Es richtet sich also quasi die eigene, ihm inhärente Kritik gegen ihn selbst: Dem Terminus, der die allgemeine Unbestimmtheit problematisiert und damit bestimmt (was ja an sich schon paradox wirkt), wird seine eigene Unbestimmtheit zum Vorwurf gemacht (was es noch paradoxer macht). Quasi eine Paradoxie zweiter Ordnung. Doch ehe wir nun der Verlockung erliegen, uns in abstrakt paradoxen Pointen zu verlieren, werden wir mal etwas konkreter. Nun braucht man den besagten Begriff nicht, um schon mal eine Feststellung vorwegzunehmen: Die heutige Gesellschaft ist ko

Donald Trump – Im Zweifel die bessere Wahl

Selten dürfte ein amerikanischer Präsidentschaftswahlkampf so polarisiert haben wie der aktuelle. Der durch ihren linksgerichteten Parteifreund Bernie Sanders gehandicapten Hillary Clinton steht ein republikanischer Präsidentschaftskandidat gegenüber, der als Außenseiter gestartet ist – und diese Rolle auch jetzt noch nicht wirklich hat ablegen können. Er ist der Albtraum des Establishments der „Grand Old Party“, was sich nicht erst in den TV-Debatten zu den Vorwahlen gezeigt hat, bei denen insbesondere die inzwischen abgetretenen Kandidaten Ted Cruz und Marco Rubio Trump heftig bekämpft haben. Trump seinerseits verstieg sich im Rahmen der Debatten um seine Person zu cholerisch-unsouveränen Reaktionen und Witzen, die seine Seriosität und seine Glaubwürdigkeit als möglicher US-Präsident für viele in Frage stellten. Sowohl diese Eskapaden und länger zurückliegende biografische Fehltritte als auch seine brachiale, ungeschliffene und emotionale, „aus dem Bauch“ kommende Rhetorik führte

Was ist „wahre Liebe“?

Liebe ist insbesondere ein modernes Phänomen. Oh, sicher: Entsprechende, auch biochemisch determinierte Gefühlslagen waren bei Menschen stets präsent. Der Eigenwert der Liebe jedoch, der die Heiratsmotivation durch etwa politische oder wirtschaftliche Zweckbündnisse von Familien in Europa vor wenigen Jahrhunderten abgelöst hat – nicht zuletzt ausgelöst durch die Innovation des Buchdrucks, welcher die breiten Massen über entsprechende Literatur erstmals mit dem Konzept romantischer Liebe bekannt machte – ist eine Erfindung der Neuzeit, wie die Bielefelder Soziologin Barbara Kuchler zu Recht sagt . Erstmal gedieh dadurch die Institution der Heirat aus Liebe – motiviert durch nichts anderes als das. Heutzutage ist es, jedenfalls in unseren Breitengraden, mindestens erklärungsbedürftig bis schlechthin sozial inakzeptabel, wenn zwei Menschen aus anderen Gründen als Liebe heiraten. Ein Produkt der Unterhaltungsindustrie Die nächste Stufe der Entwicklung wartete im 20. Jahrhundert und