Die plötzlich Verhärmte

Dieser Text wurde im Frühling 2019 verfasst, als der Autor noch als Fachhochschuldozent und als Uni-Doktorand tätig war. Das nebenstehende Bild ist ein (wenn auch mimisch sehr passendes) Image-Foto und zeigt natürlich nicht die im Text umschriebene Person.

 
Es gibt da so eine Frau, die ich lose aus dem wissenschaftlichen Kontext kenne. Ähnliche Fachrichtung wie ich, lehrend, ein wenig älter als ich. Keine Freundin, eher eine einigermaßen bekannte Kollegin, mit der ich jedoch schon mehr als nur ein paar Worte gewechselt habe, unter anderem auf gemeinsamen Bahnfahrten nach Hause. Nicht übermäßig ins private gehend, aber immer offen, freundlich und interessiert.

Irgendwann erfahre ich, dass ein gemeinsamer Bekannter von uns, ebenfalls Wissenschaftler, von meiner inzwischen öffentlich gewordenen politischen Tätigkeit weiß, welche ich zwar nicht überall vor mir her trage, aber nun mal auch nicht verheimliche – so wie das in einer Demokratie möglich sein sollte. Die Folge war eine politische Diskussion mit ihm via E-Mail – mit klaren Fronten, aber immer freundlich im Ton und konstruktiv. Gleichzeitig war fortan aber auch die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass auch die besagte Frau mittlerweile davon erfahren hatte.

Vor einigen Tagen begegne ich ihr im Flur. Sie kommt gerade aus ihrem Büro. Ich grüße sie freundlich. Sie sieht mich, erweckt von einem Moment auf den anderen den Eindruck, sich an einen anderen Ort zu wünschen, dreht sich mit bekümmertem und etwas gequältem Gesichtsausdruck weg, hin zu ihrer Tür, schließt diese ab und murmelt mit leiser Stimme mit abgewandtem Gesicht ein „Hallo“. Wir beide gehen bzw. rollen danach wortlos auseinander. Die Sache ist relativ klar: Sie weiß es. „Es“, das ist nichts anderes als die legale und legitime Betätigung in einer erlaubten, nicht verbotenen demokratischen Partei in einem vermeintlich parlamentarisch-demokratischen Staat. „Es“ ist keine kriminelle Tat, keine Beleidigung von irgendwem, kein Versuch, jemanden zu verprügeln oder jemandem etwas anderes bösartiges anzutun, sondern das Wahrnehmen eines grundgesetzlich verbrieften Rechtes.

Was muss in solchen Köpfen vorgehen, frage ich mich. Wie muss man gestrickt sein, um basierend auf einer nun bekannten politischen Verortung eines Menschen so zu reagieren, so unsachlich, so wenig an Dialog interessiert, so unreflektiert moralisch urteilend, so unkommunikativ, ja, so unsozial – und das als professionelle Vertreterin mehrerer Sozialwissenschaften, also von Wissenschaften, die sich auf die Analyse verschiedenster Arten zwischenmenschlicher, organisationaler und gesellschaftlicher Kommunikation spezialisiert haben? Was für ein ungesundes Verhältnis zu seinem Beruf und Fach muss man haben, um in einer solchen Situation derart zu reagieren? Als habe man sich durch seine politische Positionierung plötzlich in eine Art Dämon aus der Unterwelt verwandelt, der Böses will, Böses sagt und Böses tut.

Und wie inkonsequent ist sie doch eigentlich, diese Reaktion. Ich grüble, wie ich selber reagiere, wenn Personen für mich unerträglich werden, aus welchen Gründen auch immer. In der Regel, so erkenne ich, grüße ich sie dann einfach gar nicht mehr – denn ich wünsche nur solchen Leuten einen schönen Tag, denen ich eben auch wirklich wünsche, dass sie einen solchen haben mögen. Menschen hingegen, mit denen ich nichts mehr zu tun haben will, haben in meiner verbalen Kommunikation dann auch wirklich gar keinen Platz mehr, werden konsequent angeschwiegen.

Aber dieses verhärmte „Hallo“, dieses abgewandte, moralinsaure Gesicht dazu – es ist so symbolisch. Symbolisch für die Inkonsequenz der Postmodernen; dieser Versuch, einerseits seine Missachtung und seine moralische Verurteilung zu kommunizieren, sich aber bei alldem trotzdem nicht zu konsequentem Verhalten durchringen zu können, an seiner eigenen Entscheidungsverweigerung zu scheitern. Die Nicht-Entscheidung als Verhaltensdogma einer vom Wohlstand lethargisch und dekadent gewordenen Gesellschaft. Die absolute Unverbindlichkeit, das Ende der Klarheit. Kann es noch schlimmer kommen?


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