Das ökonomisierte Gesundheitswesen

Kliniken und Pflege im Kapitalismus


Mehrmals täglich hörten und lasen wir in den Jahren 2020 bis 2022 von den Gefahren, die vom Coronavirus ausgingen, nicht selten untermalt von dramatischen Bebilderungen, die Leichensäcke bei Kliniken in Italien, Spanien und anderswo zeigten. Der eigentliche Grund für jene Entwicklungen, die eigentliche Problematik wurde uns damals wie heute vom politisch-medialen Mainstream verschwiegen – aber auch die politische Rechte tat sich abseits der (durchaus nicht unplausiblen) Great-Reset-Theorien nicht gerade damit hervor, hier mit der gebotenen analytischen Schärfe auf die eigentlichen Missstände hinzuweisen. Und doch liegen sie so klar vor einem, wenn man nur genau hinschaut: Der Ökonomisierung unseres Gesundheitswesens ist seit etwa Mitte der 80er Jahre (in denen aus Sicht mancher Babyboomer doch angeblich alles noch so großartig war) in vollem Gange. Die katastrophalen Auswirkungen erleben wir heute, nicht nur in Kliniken, sondern nicht zuletzt und vor allem auch im Bereich der Pflege.

Heuschreckenplage

Der normale Patient dürfte hierzulande ebenso wie im westlichen Ausland oft kaum realisieren, in wessen Händen er sich oftmals befindet, wenn er auf einen Klinikaufenthalt oder womöglich auf einen Platz im Pflegeheim angewiesen ist: Nicht selten nämlich in denen global agierender Klinik-Konzerne wie Fresenius/Helios oder Ameos. Ameos befindet sich im Besitz des US-Finanzkonzerns Carlyle Group, welcher schon während des amerikanischen Öl-Krieges im Irak unter Bush Jr. auf profitable Investments hoffte. Es gibt kaum ein Geschäftsfeld, in dem Carlyle nicht mitmischt – ähnlich dem Finanzinvestor BlackRock, zu dem CDU-Chef Merz beste Connections hat. BlackRock besitzt Anteile an Fresenius sowie an den Pflegekonzernen Orpea und Korian (bezeichnend übrigens, dass, während der Autor dies schreibt, sein Word-Programm beide Namen ebenso wie „Ameos“ rot anstreicht – auch Details wie diese sagen etwas über die Prominenz und die Hintergründigkeit mächtiger globaler Akteure aus).

Die besagten Beispiele machen deutlich, dass es beim Stichwort „Ökonomisierung“ um noch mehr geht als lediglich um „Privatisierung“ (was oft schon problematisch genug ist). So zeigen allein die genannten Beispiele ökonomischer Vernetzung auf, dass hier nicht lediglich private Betreiber, sondern sogenannte „Private-Equity“-Konzerne am Werk sind, im Volksmund auch gern als „Heuschrecken“ bezeichnet. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie Unternehmen nicht aus dem üblichen Brancheninteresse heraus aufkaufen, im Zuge dessen ein Konzern etwa ein Unternehmen kauft, weil es zum branchenspezifischen Profil passt oder man eine bestimmte Produktsparte ausbauen will (im Sinne „konstruktiver“ Unternehmensziele). Private Equity bedeutet die reine Profitzentrierung, die Fokussierung auf den Gewinn, der mit Kauf und danach wieder Verkauf (gegebenenfalls einzelner Unternehmensbestandteile) zu machen ist. Konstruktive wirtschaftliche Entwicklungsziele gibt es in diesen Fällen gar nicht mehr; der Profitfaktor ist der einzig entscheidende.

Stationen, Zahlen und Daten

Dieser Entwicklung wurde mit der Abschaffung des Gewinnverbots für Krankenhäuser in den 80er Jahren Tür und Tor geöffnet. Es folgten als weitere Stationen die Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995, im Zuge derer private, öffentliche und gemeinnützige Träger gleichgestellt wurden, was die letzteren beiden einem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf aussetzte, von dem man sich ruhig ganz idealistisch fragen darf: Warum braucht es diesen in einem gesellschaftlichen Feld, das Allgemeingut sein sollte? Schritte wie diese lassen sich letztendlich ausschließlich durch neoliberale Finanzinteressen erklären. 2004 schließlich wurden, ganz dazu passend, die Fallkostenpauschalen eingeführt.

Wer immer noch glaubt, diese habe das System vermeintlich „effizienter“ gemacht oder ähnliches, wie es im Zuge neoliberaler Mythen um die Jahrtausendwende propagandistisch wirkmächtig verbreitet wurde, der wurde inzwischen eines Besseren belehrt – wenn er nicht gerade von der FDP indoktriniert ist oder, wie ein gewisser CDU-Spitzenpolitiker, durch Finanzinvestoren-Biografie und -Interessen vorgeprägt ist: Sage und schreibe 469 Krankenhäuser wurden zwischen 1991 und 2017 in Deutschland geschlossen; 168.383 Betten abgebaut, primär in öffentlichen und gemeinnützigen Kliniken. Zwischen 1971 und 2015 ging die Zahl der Krankenhäuser um 53 % zurück; die Zahl der Betten um 43 %. Und wir wundern uns über überfüllte Krankenhäuser im Rahmen von Corona und Grippewellen?

Klinik- und Pflegekonzerne haben den demografischen Wandel zum Spekulationsobjekt erhoben. Infolge der alternden Gesellschaft und damit neuen medizinischen Bedarfen steigt auch das Interesse an Investitionen in dieses Feld, welches zudem in einigermaßen stabilen Wohlfahrtsstaaten ein relativ sicherer Sektor ist, da der Staat die sozialen Transferleistungen in diesem Bereich nicht mal eben streichen kann: „Kundschaft“ gibt es immer und dies immer mehr. Die Digitalisierung, von der KI-Verwaltung bis hin zu „Pflege-Robotern“, dürfte ihr Übriges tun, um die Branche für Global Player mehr als interessant zu machen, implizieren all diese Innovationen doch die Chance, Gewinne durch weiteren Personalabbau zu erhöhen.

Gewinnmaximierung versus Primat des Politischen

Hierbei handelt es sich jedoch keinesfalls um ein Problem nur der westlichen Welt und der Industriestaaten: Der afrikanische Gesundheitssektor ist für US-, aber auch für chinesische Investoren mittlerweile eine Art neue Goldgrube geworden. Auch hier sind primär Private-Equity-Heuschrecken am Werke. Private Klinikbetreiber treten weltweit immer häufiger in Erscheinung, bei gleichzeitigem Wegrationalisieren von Betten und Verschmelzen von Kliniken in Großkonzernen. Nicht selten hat genau in jenen Ländern, in denen dies am hemmungslosesten praktiziert wurde, Corona am drastischsten zugeschlagen – eine Korrelation zugleich, die man in den meisten deutschen Medien wohl nicht lesen wird, und die Akteure wie das Weltwirtschaftsforum programmatisch noch vorantreiben.

Auch in Pflegeheimen kann keineswegs von „mehr Effizienz durch Privatisierung“ die Rede sein – allenfalls von mehr Gewinnsteigerung bei privaten Betreibern. Diese liegt bei letzteren bei etwa 8,2 %, während öffentliche Betreiber auf lediglich 2,8 % Gesamtkapitalrendite kommen. Eine Entwicklung, die schlicht damit erklärt werden kann, dass private Betreiber Personalkosten sparen, sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch der Qualifikation. 
 
Der kurze Blick auf ein kaputtgespartes und kaputt-ökonomisiertes System macht deutlich, wohin die Reise im Zuge der letzten vierzig Jahre gegangen ist. Was wir erleben, wenn wir ernsthaft krank und / oder pflegebedürftig werden, wenn unsere älteren oder kranken Angehörigen als Patienten in Kliniken oder Heimen zu lange alleingelassen oder vernachlässigt werden, wenn wir die Leistungen nicht erhalten, für die wir Jahre lang eingezahlt haben, hat einen alten, aber überaus treffenden Namen: Kapitalismus. Wer diese Entwicklung nicht will – und niemand, dem das Wohl des eigenen Volkes am Herzen liegt, kann diese wollen – muss das Primat des Politischen über den Gesundheitssektor zurückerobern.

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