Das bunte Licht

Das Sonnenlicht brach sich durch das bunte Fenster, während der Priester sprach. Mit diesem seltsamen hohen Singsang, den diese Priester so oft einnehmen, wenn sie ihre Predigt anstimmen. Als würde er nie Atem holen. Keinen Satz endgültig abschließen. Weihevoll. Ergriffen. Ergriffen wovon? Von sich selbst? Von der Pracht seines Gottes? Oder dessen Sohn? Oder dem heiligen Geist? Seltsame Sache, diese Dreifaltigkeit. Eins und dann doch in drei geteilt. Eins, aber doch nicht von dieser Welt, voller Überhöhung, voll seligen und doch im Grunde so verächtlichen Mitleids für dieses „Jammertal“ des Diesseits. 
 
Das Sonnenlicht wurde schwächer. Doch die schwindende Intensität des Lichts machte die Buntheit, die das Kirchenfenster unter das Licht mischte, nicht minder beeindruckend. Der Nordmann war fasziniert. Er schaute auf das gebrochene, helle und doch so dunkle, eigentlich gelbweiße und dann doch bunte Licht, das in das kühle Gemäuer strömte. 
 
Warum, überlegte er, diese bunte Pracht? Er sah sich um. Pracht überall. Statuen. Büsten. Gold und Prunk. Die Kühle eines Schlossbaus, beherrscht von einem Kuttenträger, der im Singsang sprach. Diente es dazu, die Schäfchen zu beeindrucken? Diente es dazu, wie er den Priester mal in seinem Singsang-Tonfall hatte sagen hören, die Pracht und Herrlichkeit Gottes zu symbolisieren? 
 
Was muss das für ein Gott sein, überlegte der Nordmann weiter, der auf menschengemachten Prunk angewiesen ist, um seine Herrlichkeit zu zeigen? Was ist das für ein Gott, der geschlossene Gemäuer braucht, um sich anbeten, um seine göttliche Präsenz seine Jünger fühlen zu lassen? Und was war das für ein Gott, der sein eigenes Licht verfremden lässt, bevor es auf seine Schäfchen trifft? So schön bunt, so ästhetisch. Und zugleich doch eine Unterbrechung des Natürlichen, welches der Nordmann so lange gewohnt gewesen war. 
 
Plötzlich fühlte er Sehnsucht. Die Sehnsucht nach etwas Unverfälschtem, nach dem Unverfremdeten. Die Sehnsucht, das grelle, warme, weißgelbe Licht der Sonne auf seiner Haut zu spüren. Den kalten Wind auf seinem Gesicht zu spüren. Die Präsenz göttlicher Kraft zu fühlen, zu erleben, in seinem Herzen zu finden, anstatt sie von einem Kuttenträger im Singsang und fremder Sprache erklärt zu bekommen. So sehr fühlte er diese Sehnsucht, dass sie ihn fast zerriss! Eine seltsame Mischung aus Zorn und Erleichterung ergriff Besitz von ihm. Zorn, dass man ihm die Götter nehmen wollte, die er doch so leibhaftig hatte erleben können, die ihn sein Leben lang begleitet hatten. Erleichterung darüber, dass er plötzlich eines ganz sicher wusste. Er würde sie wieder spüren, wenn er diesen Ort mit seinem bunten Licht und seinem hallenden Singsang hinter sich gebracht hatte. 
 
Er stand auf und ging. Ging immer schneller. Der Sonne und dem kalten Wind entgegen. Draußen holte er tief Luft. Und er spürte. Und fühlte. Unverfälscht. Innig. Göttlich. Er wusste: Er war eins – mit allem. Niemand, niemand auf dieser Welt würde das jemals ändern können. Der Nordmann weinte. Und er lächelte. Er war ungebrochen.

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