Der diskriminierende Hund

Der folgende Text wurde im März 2019 verfasst.

 
Ich fahre mal wieder so den Berg hoch, bin fast zuhause. Wie immer auf der (wenig befahrenen) Einbahnstraße zwischen hübschen Altbauten und Villen fahrend, weil der Asphalt so schön glatt und gerade ist. Bürgersteige bergauf fahren ist fies, da sie meistens auch seitlich zur Straße hin abschüssig sind, damit Regenwasser abfließen kann, wodurch ich dann ständig mit dem einen Arm gegensteuern muss, zusätzlich zum Kraftaufwand des Bergauf-Fahrens. Am Ende hat man dann Nacken- und Schulterverspannungen auf der betreffenden Seite. Das Bergauf-Fahren auf der Straße hingegen ist deutlich angenehmer [Mittlerweile, im Jahr 2023, auch deswegen, weil die Bürgersteige von E-Rollern zugeparkt sind und oft kein Durchkommen mehr ist. Anm. FS]. Daher auf der Straße. Aber ich komme vom Thema ab.

Ich komme nun also gerade oben an, da steht neben mir, geparkt, eines dieser Lieferwagen-Autos. Wie heißen die Dinger eigentlich? Keine Ahnung, ich meine die mit dem normalen Vorderteil und dem Lieferwagen-Hinterteil. Ein privates Auto, mit Fenstern auch im hinteren Teil. Drinnen, in eben diesem hinteren Teil sitzend, fängt plötzlich ein, wie man an der Stimme erkennt, offenbar sehr großer Hund an zu bellen und buchstäblich auszurasten, als er mich sieht. Daneben steht eine Frau in etwa meinem Alter, zusammen mit ihrer kleinen Tochter, und schaut mich entschuldigend an. „Nehmen Sie es nicht persönlich; ich glaube, das mit dem Rollstuhl verunsichert ihn etwas…“. Ihr ist das ganze offenbar sehr peinlich.

Für mich ist es nichts Neues: Ich erlebe öfters, dass manche Hunde von mir und meinem Rolli irritiert sind und mich anbellen. Was soll’s, denke ich mir dann meist, solange sie dabei angeleint sind und Herrchen bzw. Frauchen die Leine auch schön fest hält, kann mir das egal sein. Wenn das Tierchen im Auto eingesperrt ist, erst recht. Ich komme etwas näher, um nicht über die Straße rüber rufen zu müssen (der Hund rastet derweil noch mehr aus und kratzt an der Scheibe) und antworte: „Kein Problem, passiert mir öfters mal. Manche Hunde sind gelassen, manche etwas impulsiver oder verschreckter. Können die ja nichts für.“

Die Frau schaut weiter betroffen. „Es ist mir wirklich unangenehm. Einmal hat er jemanden mit [an dieser Stelle wird ihre Stimmlage verschwörerisch-leise] sehr dunkler Hautfarbe angebellt. Ich habe einen diskriminierenden Hund!“, sagt sie unglücklich. Ich antworte nicht direkt darauf, sondern denke mir, wie äußerst unangenehm das einer jungen, vermutlich bildungsbürgerlichen Bewohnerin meines linksgrün-alternativen Altbauviertel-Stadtteils wirklich sein muss. Ein rassistischer, behindertenfeindlicher, buchstäblich faschistoider Hund. Ob er wohl auch noch homophob und sexistisch ist? Möglicherweise ja auch noch gruppenbezogene Hundefeindlichkeit? Pudelphobie, Antichihuahuaismus, Dackelfeindlichkeit, Rudelzentrismus? Diese Hunde. Faustdick haben sie’s hinter den braunen Hängeohren, faustdick, sag ich dir.

Meine zugebenermaßen leicht von Ironie durchtränkten Gedanken spreche ich nicht laut aus. Mich rührt es aufrichtig, dass sie sich Sorgen um meine Gefühlslage macht, auch wenn ich ahne, dass diese Sorgen aus falscher Political Correctness heraus geboren wurden. Dennoch ist es empathisch gemeint, und das wertschätze ich – auch wenn ich mich frage, wie weit diese Empathie noch ginge, wenn sie über meinen eigenen Hintergrund Bescheid wüsste. Ob sie dann den Kofferraum öffnen und „Fass!“ rufen würde? Man weiß es nicht! 
 
Was ich aber weiß, ist, dass die Sache leider auch mal wieder eine tragische Symbolik in sich trägt, indem sie zeigt, wie Menschen sich für etwas schämen, was natürlich und unvermeidbar war, wofür sie zudem selbst kaum etwas können. Was wirklich zutage trat, war das Schamgefühl und schlechte Gewissen der – in diesem Falle körperlich – Privilegierten gegenüber einem körperlich Unterprivilegierten und die Folgen dessen in der Mensch-Tier-Interaktion, in der ein Tier beschloss, sich von seiner authentischsten, politisch unkorrektesten Seite zu zeigen. Dass ich schlicht im Unrecht gewesen wäre, wenn ich der Frau oder dem Hund einen Vorwurf gemacht hätte, wird ausgeblendet, denn das Opfer, der Schwache, der scheinbar Unterprivilegierte ist im Lande der Sklavenmoral (Nietzsche) immer im Recht. Ganz egal, wie unsinnig, unvernünftig, irrational dies auch sein mag.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

„Christliches“ Abendland?

Die plötzlich Verhärmte

Zwischen Distanzeritis und Dämonisierung