Der Reiz des Anderen
Eine alternative Sicht auf Transsexualität
Achtung, lieber Leser: Sie
betreten thematisch vermintes Gelände. Wenn Konservative Artikel
veröffentlichen, die sich dem Umgang mit oder der Entstehung und der Rolle von
gesellschaftlichen Minderheiten widmen, so werden diese auf – meistens geradezu
reflexhaft hochemotionalisierten – Widerspruch nicht lange warten müssen. In
einer Zeit, in der sich jene Akteure, die einen gesellschaftlichen Diskurs
entscheidend prägen, also Politik und Medien sowie echte oder selbsternannte
Prominente und Intellektuelle, primär mit Minderheitenproblemen befassen, weil
die allzu oft schweigende Mehrheit ja nur aus der weißen, heteronormativen,
patriarchalischen und latent rassistischen Masse besteht, die (angeblich) die
gesellschaftlich dominante Position innehat, müssen all jene, die es wagen,
sich gegen diesen Trend zu stellen, aufpassen.
Dies gilt insbesondere in
urbanen, bürgerlichen und daher tendenziell linksliberalisierten Milieus:
„Toleranz“ gegenüber postmodernen Lebensstilen gehört dort schon im
Automatismus zum guten Ton. „Im Automatismus“ heißt konkret: Ein rationaler,
sachlicher, nüchterner Diskurs über jene Lebensstile und ihre Hintergründe ist
oftmals nicht mehr oder nur noch in Teilen möglich. Stellt man etablierte
Narrative jener Milieus in Frage, ist die affektive Reaktion oft nicht das, was
einen demokratischen Diskurs eigentlich ausmachen sollte, sprich eine
sachlich-nüchterne Gegenargumentation, sondern ein emotionaler Reflex: „Also
das schockt mich jetzt!“, „Da läuten bei mir alle Alarmglocken!“, „Sowas kann
ich ja gar nicht hören!“ oder auch, für die gänzlich argumentationslos Empörten,
einfach nur ein schockiert-schmerzhaft-mahnendes, schnelles, zischendes
Einatmen durch die zusammengebissenen Zähne sind typische Reaktionen aus dem
Baukasten der linksliberalen Empörungsversatzstücke. Da wird es dem Gutmenschen
ganz unwohl. Die Mimik wird säuerlich, die Mundwinkel sinken, die Augenbraue
hebt sich missbilligend, der ebenfalls erhobene Zeigefinger setzt zum mahnenden
Vortrag an, der Schlagworte wie „Buntheit“, „Gerade wir als Deutsche“ und
ähnliches enthält.
Was will der Autor dem Leser mit
dieser zugegeben leicht polemischen Einleitung mitteilen? Ganz einfach: Sie
kommuniziert die Erwartung an kritische Leser, sich und allen anderen derlei
erwartbare und vom Autor schon hunderte Male ausgefochtene Präliminarien zu
ersparen, und stattdessen nüchtern bei der Sache zu bleiben. Im Folgenden soll eine
alternative psychologische These zum Thema Transsexualität vertreten werden,
die aber natürlich – das erklärt sich von selbst – politische Implikationen
beinhaltet, die den gängigen linksliberalen Konsens dazu in Frage stellen.
Zunächst jedoch einige Prämissen zur inhaltlichen Einleitung.
Autonomie-Prinzip und Individualisierung
Der heutzutage gesellschaftlich
übliche Umgang mit Transsexualität basiert auf einem heute gleichfalls
hochgehaltenen psychiatrischen und psychotherapeutischen Prinzip: Dem der
Autonomie des Patienten. Der Patient ist autonom – er weiß selbst, was gut für
ihn ist; Ärzte und Therapeuten sind lediglich „Berater“, die das psychische
System des Patienten „irritieren“, ihm vielleicht den ein oder anderen „Anstoß“
geben, selbst den richtigen Weg im Leben zu finden. „Interventionen“, direkte
Einmischungen in das Leben des Patienten, sind in der heutigen Therapie- und
Beratungspraxis eher out, gelten als zu direktiv, zu autoritär, zu
voreingenommen, zu wenig eben jene, oben genannte Patientenautonomie achtend.
Dieses heute gängige Prinzip beruht
seinerseits wiederum auf einer (noch breiter angelegten) modernen gesellschaftlichen
Institution, nämlich der des Individualismus. Der Individualismus ist zu
verstehen als gesellschaftspolitischer Teilaspekt des Liberalismus, in
Deutschland und auch anderen Teilen Europas seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer
weiter institutionalisiert. Jene Institutionalisierung, die in der Soziologie
als Individualisierung bezeichnet wird, ist heutzutage zu einem (unrühmlichen)
Höhepunkt gelangt: Der Einzelne steht heute über allem. Ob nun modisch,
politisch, in der Erziehung, in der (immer undogmatischeren) Religion, digital,
biografisch, in der Liebe – es gibt kaum noch einen Lebensbereich, der von der
Auflösung oder zumindest Zurückdrängung kollektiver Identitäten und Bindungen verschont
wurde. Vereine sterben, Parteimitgliedschaften sind unbeliebt, Kirchen stehen
leer, die klassische Ehe wird seltener, erst recht die klassische kinderreiche
Familie.
TV-Sender und soziale Netzwerke
hauen uns in regelmäßigen Abständen radikalindividualistische Botschaften um
die Ohren: „Lebe deine Träume!“, „Mach, was du willst, scheiß drauf, was die
anderen sagen!“. Auf Instagram werden derlei Philosophien mit entsprechend
hippen Hashtags kommuniziert; extremes Übergewicht oder ähnlich ungesunde
Erscheinungen dekadenter Gesellschaften werden mit Schlagworten wie
#bodypositivity oder #nobodyshaming so lange beschönigt, bis es genug gleichgesinnte
„Follower“ aus der eigenen Filterblase gibt, die einem tagtäglich in
Kommentaren das Selbstbewusstsein aufbessern. Kinder der Generation Z wachsen,
noch mehr als die der Generation Y, schon von der frühkindlichen Phase an mit
jener Mentalität auf – und Lehrer wundern sich später, dass sie sich in der
Schule wie kleine Götter gebärden, die nie etwas falsch machen. Wenn etwas
falsch war, dann waren es stets die Anderen, die äußeren Umstände – der
Einzelne hat schließlich immer recht, „ist gut so, wie er ist“ etc.
Das Gefühl hat nicht immer Recht
Der Leser ahnt, welche Richtung
die folgende Argumentation einschlägt. Das therapeutische Autonomie-Prinzip
bzw. dessen gesamtgesellschaftlicher Individualismus-Kontext, der oben
skizziert wurde, haben selbstverständlich auch ihre einschlägigen Folgen für den
Komplex der Sexualität. Wer sich als transsexuell outet, ist damit sozusagen
automatisch im Recht und wird in dieser Identitätskommunikation nicht in Frage
gestellt, denn der Einzelne ist ja autonom und eigenverantwortlich, ganz wie es
der Liberalismus verlangt. Ein heute üblicher Grundsatz des Verhaltenstrainings
(ein Berufsfeld, in dem der Autor dieser Zeilen etwa 3 Jahre lang tätig war),
der sich in therapeutisch-beratenden Kontexten ebenso wiederfindet, lautet: „Mein
Gefühl hat immer Recht.“ Heißt: Der Trainingsteilnehmer / Patient / Klient soll
in seinem Gefühl nicht in Frage gestellt werden. Was er sagt, stimmt. Der
Trainer / Therapeut / Berater muss dann eben damit umgehen, ihn in dieser
Identität anerkennen und dann höchstens sanft anstoßen, positiv „irritieren“.
Ein Paradigma, das riskant ist, da es doch impliziert, dass jede – auch noch so
absurde – Selbstwahrnehmung in irgendeiner Form berechtigt wäre. Ziel eines
weniger individualistischen, stattdessen an kollektiven Identitäten
orientierten, konservativen Ansatzes wäre es dahingegen, dieses Credo einmal
gründlich in Frage zu stellen.
Die Notwendigkeit dessen zeigt
sich eben nicht zuletzt auch im ärztlich-therapeutischen und – in der
Wechselwirkung damit – im gesellschaftlich-politischen Umgang mit dem Thema
Transsexualität. Denn auch hier wird der besagte Grundsatz allzu häufig recht
vorschnell von Ärzten, Therapeuten und Beratern befolgt. Zwar gibt es durchaus
kritisch vorgehende Verfahren, die verhindern sollen, dass Leute sich
vorschnell geschlechtlich um-operieren lassen und dies dann hinterher bereuen.
Und doch sind genau solche Fälle, in denen der drastische Schritt hinterher
bereut wird, nicht selten. Noch häufiger sind Fälle, in denen die Betroffenen
nach der Umwandlung nicht glücklicher sind, da sie eben oft genug nicht perfekt
ist: Hormone und Operationen können vieles ändern, aber etwa bei der
grundlegenden körperlichen Statur eines Menschen, die für die soziale Umwelt
ein wesentlicher Indikator für das Geschlecht ist, wird es schon schwieriger.
Und auch die Stimme eines Mannes wird eben nicht einfach so zu der einer Frau,
ist aber als wesentliches Kommunikationsinstrument dazu auch noch ein ganz entscheidendes
Kriterium für den Erfolg sozialer Kontakte und die Zurechnung einer geschlechtlichen
Identität. Probleme sind vorprogrammiert.
Irreführende Hollywood-Märchenfabrikation
Anders gesagt: Die Illusionen,
die sich Betroffene machen, sind oft weitaus rosiger als die anschließende
Realität. Gleichzeitig werden sie jedoch bestärkt durch das gesellschaftliche
Klima, das in seinem radikalindividualistischen Überschwang Fragen der
persönlichen Identität behandelt wie die Märchenfabrik Hollywood: „Sei was du
willst! Du kannst alles erreichen, was du möchtest! Keine Bindungen, keine
Fesseln mehr! Freiheit ohne Grenzen!“ So wie angeblich alle Superstar werden
können, können sie eben auch ihr Auftreten und ihr Geschlecht angeblich alle
ganz frei wählen und sich „selbst verwirklichen“, ohne #bodyshaming und mit
ganz viel #bodypositivity.
In diese gesellschaftliche
Märchenfabrikation fügt sich das allseits kommunizierte Narrativ der
Transsexualität nahtlos ein: Nämlich die Bekundung, „im falschen Körper geboren
zu sein“. Eine oft recht unreflektiert nachgeplapperte Aussage, die aber in
ihren Implikationen kaum weitreichender sein könnte – maßt sie sich immerhin an
zu erklären, die Natur (Gott) habe sich bei der Schaffung des eigenen Körpers
gewissermaßen „vertan“ und man selber wisse nun besser, was man eigentlich ist.
Da ist es wieder, das radikalindividualistische Autonomie-Prinzip: Der Einzelne
ist alles; alle anderen sind nichts – seien es nun Mitmenschen oder göttliche
Kräfte. Allesamt nur lästige Hindernisse auf dem Weg zur Selbstverwirklichung.
Die psychosoziale Szene, die
transsexuelle Menschen schließlich bei ihrem Entscheidungsweg „berät“, hilft oftmals
tüchtig mit bei jener Selbsteinschätzung. Von eben jenem oben thematisierten
Autonomie-Prinzip abgesehen, ist sie selbst in weiten Teilen
linksliberal-politisiert und damit weltanschaulich voreingenommen (die
schlimmste politische Intoleranz wird man vermutlich in eben jenem Milieu wiederfinden).
Und wer es innerhalb dieser Szene wagen würde, sich gegen derlei Narrative zu
stellen, wäre in ihr wohl binnen kürzester Zeit sozial isoliert und beruflich stigmatisiert.
Also springt man lieber auf den Zug auf.
Sexuelle Projektion und die Äpfel aus Nachbars Garten
Es ist die Aufgabe von
Konservativen, derlei dauerkommunizierte Scheinwahrheiten einmal gründlich in
Frage zu stellen. Und dies beinhaltet auch eine alternative Ursachenanalyse,
die einmal kritisch fragt: Wenn jemand vielleicht gar nicht „im falschen Körper
geboren“ wurde – worum geht es dabei eigentlich stattdessen? Unzweifelhaft kann
man sich auf eines einigen: Der Leidensdruck transsexueller Menschen ist hoch –
vor, aber eben meistens auch noch nach einer Umwandlung. Das bietet einige
Indizien für eine alternative psychologische Theorie, die versucht, eine andere
Erklärung zu bieten für die Frage, warum manche Menschen ihr eigenes Geschlecht
so sehr ablehnen, dass sie dafür unglaubliche gesundheitliche und psychosoziale
Anstrengungen in Kauf zu nehmen bereit sind.
Abseits von der bereits oben
thematisierten Problematik des individualistischen, illusionäre Selbstverwirklichungsfantasien
begünstigenden gesellschaftlichen Klimas (Makro-Ebene) ist es auf der
Mikro-Ebene in vielerlei Fällen durchaus plausibel, die Attraktivität der
sozialen Implikationen des anderen Geschlechts als wesentliche Ursache zu
vermuten. Während für manch transsexuelle Frau das klassische Bild der dominanten
Männlichkeit reizvoll sein mag, hat auch die Frauenrolle so manches an sich,
was männlichen Sozialneid auszulösen vermag: Auch heute noch ist die Frau die
Umworbene; die Bewunderte; diejenige, die sich individuell auffällig ausdrücken
kann, über Mode, Makeup und dergleichen – und die sich bei Kontaktanbahnungen passiv
verhalten darf, weil sie womöglich schon allein durch ein hinreichend
attraktives äußeres Erscheinungsbild in Verbindung mit dem „Jagdtrieb“ der
männlichen sozialen Umwelt genug Aufmerksamkeit erhält.
In dem hier diskutierten Kontext
geht es dann vor allem um eine Form der Projektion. Gerade transsexuelle
Männer, die nicht selten vor und nach der Umwandlung eine Präferenz für das
weibliche Geschlecht haben, mögen hier womöglich ihre sexuelle Präferenz auf
die eigene Identität projizieren: Man will so sein wie das, was man selbst
sexuell begehrt. Das eigene, bislang – weswegen auch immer (die Gründe hierfür
können vielfältig sein) – nicht intakte Körperbild, bei dem es, im Falle einer
wirklich umfassenden Selbstreflexion, vielleicht gar nicht so sehr um das
Geschlecht geht, sondern um ein generelles Problem mit der eigenen
Körperlichkeit, kann in dieser Vorstellung schließlich ausgetauscht werden
durch eine Art Selbst-Verkörperlichung der eigenen sexuellen Begierden.
Die Projektion steigert sich
schließlich in einen grundlegenden Drang zur Identitätsflucht. Was die trivial
erscheinende, aber oft so treffende Weisheit „Die Äpfel aus Nachbars Garten
schmecken immer besser“ umschreibt, greift auch hier: Gerade der postmoderne,
identitätsverlorene und bindungslos-vereinsamte Mensch neigt dazu, das Andere zu idealisieren und das Eigene zu negieren („In Deutschland
ist das Wetter immer so grau-verregnet und die Menschen so schlecht gelaunt,
aber im Ausland sind alle so sonnig, lebensfroh und exotisch!“). Alles zusammen
schafft letztlich die Begierde, endlich all das sein zu dürfen, was man in eben
jenes reizvolle Andere all die Jahre über hineinprojiziert hat.
Ein konservativer Weg zur Selbstbefreundung
Es versteht sich von selbst, dass
ein solcher alternativer Erklärungsansatz nicht auf alle Fälle anwendbar ist.
Insbesondere im Falle von sogenannter Intersexualität, also einem bereits bei
der Geburt biologisch (!) unklaren Geschlecht, lassen sich operative Lösungen
schwerlich vermeiden. Ab dem Moment aber, wo wir heutzutage von Transsexualität
sprechen, geböte es die Verantwortung der professionellen Akteure (Ärzte,
Therapeuten, Berater) und der Politik, einmal ganz grundsätzlich zu
hinterfragen, worum es bei derlei Problematiken eigentlich gehen könnte, anstatt vorschnell gesellschaftlich im
Trend liegenden linksliberal-autonomistischen Narrativen hinterherzulaufen –
und Betroffene damit nur von einer Lebenskrise in die nächste (womöglich noch
schlimmere) zu stürzen. Die eigentlichen Gründe für psychisches Leid – und
genau dies ist Transsexualität in vielerlei Fällen – liegen oftmals tiefer als
es die Oberfläche suggeriert. Eine konservative Perspektive auf derlei
Phänomene hätte das Potenzial, in diese seelische Tiefe vorzudringen – und Betroffenen
auf dem Weg zu echter Selbstbefreundung zu helfen.
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