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Rechtsprechung im Nationalsozialismus (I)

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Im Falle der Peripherie des Rechtssystems im Nationalsozialismus – in Form der Gesetzgebung – können wir von einer deutlichen Politisierung (in Form eines Rekurrierens auf die politische Leitunterscheidung) ausgehen. Wie jedoch ist diese Frage mit Blick auf das Zentrum des Rechtssystems zu bewerten? Bevor wir an dieser Stelle auf für unsere Leitfrage wesentliche Tendenzen in der Entscheidungspraxis der Rechtsprechung im Dritten Reich zu sprechen kommen, gilt es zunächst einmal die nicht unmaßgebliche Reorganisation der Justiz bzw. genauer: des Gerichtswesens einer Analyse zu unterziehen. Hier haben sich insbesondere im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit, aber auch im Zuge des oben bereits skizzierten, im Laufe der Jahre immer weiter ausgebauten Sonderrechts durchaus bedeutsame Veränderungen vollzogen. Auch die Frage der in liberalen Demokratien üblichen richterlichen Unabhängigkeit gilt es im Folgenden zu erörtern: War diese weiterhin gegeben – und wenn ja, nur auf dem Papier oder

Politischer Streik als Protestform

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Von Linken lernen Die politische Atmosphäre in Deutschland kocht. Nach der Solidarisierung der AfD mit den Bauernprotesten und dem medialen Aufbauschen des „Geheimtreffens“ in Potsdam, bei dem letztlich nicht mehr besprochen wurde, als man in den Sezession-Heften und -Blogbeiträgen der letzten Jahre zum Thema Remigration nachlesen kann, überbietet sich das politische Establishment mit restriktiven Forderungen gegen die einzige echte deutsche Oppositionspartei. Auch ein AfD-Verbot soll jetzt „geprüft“ werden, auch wenn derlei Säbelrasseln keine realistische Grundlage haben dürfte. Es wird deutlich: Die Blockparteien haben Angst, große Angst. Das Wahljahr 2024 könnte bedeuten, daß AfD-Politiker in zig Rathäuser und Landratsämter einziehen, ja daß sie vielleicht sogar eine Landesregierung stellen könnten. Tiefgreifender Wandel könnte der Republik bevorstehen. Die AfD und die Protestbewegungen Die politische Rechte hat in den letzten Jahren gelernt, daß die gutbürgerliche Etepetete-Distanz

Zivilrecht im Nationalsozialismus

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Das, im Vergleich betrachtet, geringste Ausmaß an Entdifferenzierung ist im Zivilrecht zu beobachten. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) blieb – ausgenommen das Ehe- sowie das Erbrecht – von den Nationalsozialisten zunächst weitestgehend unangetastet, was auch mit den darin vorzufindenden Generalklauseln zu tun hatte: Formulierungen wie etwa jene des § 242 BGB („Leistung nach Treu und Glauben“) (vgl. BGB o. J.: 122 / § 242), welche bewusst offen gehalten waren und erst durch die Rechtsprechung mit konkreter Bedeutung gefüllt werden mussten, ermöglichten es auch in diesem Fall, die bestehende „Interpretationslücke“ politisch, d. h. NS-ideologisch auszufüllen (vgl. Schwarz 2012) – ähnlich der Formulierung des „gesunden Volksempfindens“ im Strafrecht. Es bestand hier so gesehen schon vorher (bzw.: es besteht noch immer) über derartige Generalklauseln eine gewisse Offenheit des Rechtssystems für Interventionen von außen, die anderen, nicht-rechtlichen Leitdifferenzen folgen, und auch in dies

Das ökonomisierte Gesundheitswesen

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Kliniken und Pflege im Kapitalismus Mehrmals täglich hörten und lasen wir in den Jahren 2020 bis 2022 von den Gefahren, die vom Coronavirus ausgingen, nicht selten untermalt von dramatischen Bebilderungen, die Leichensäcke bei Kliniken in Italien, Spanien und anderswo zeigten. Der eigentliche Grund für jene Entwicklungen, die eigentliche Problematik wurde uns damals wie heute vom politisch-medialen Mainstream verschwiegen – aber auch die politische Rechte tat sich abseits der (durchaus nicht unplausiblen) Great-Reset-Theorien nicht gerade damit hervor, hier mit der gebotenen analytischen Schärfe auf die eigentlichen Missstände hinzuweisen. Und doch liegen sie so klar vor einem, wenn man nur genau hinschaut: Der Ökonomisierung unseres Gesundheitswesens ist seit etwa Mitte der 80er Jahre (in denen aus Sicht mancher Babyboomer doch angeblich alles noch so großartig war) in vollem Gange. Die katastrophalen Auswirkungen erleben wir heute, nicht nur in Kliniken, sondern nicht zuletzt und vo

Strafrecht im Nationalsozialismus

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Eine wesentliche Etappe der funktionalen Entdifferenzierung im Strafrecht – zu dem sich schon im NSDAP-Parteiprogramm aus dem Jahr 1922 die Forderung finden lässt, es nach biologisch-rassischen Gesichtspunkten (mit anderen Worten: im Sinne einer politischen Freund-Feind-Unterscheidung) zu gestalten (vgl. Staudinger 1999: 113f.) und deren wesentlichster Vordenker ein weiterer Vertreter der Kieler Schule, nämlich der zeitweilige Rektor der Universität Kiel, Georg Dahm, war – zeigte sich im „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“, kurz Gewohnheitsverbrechergesetz, vom 24. November 1933 (vgl. Müller 1997; Hartl 2000: 278-282). Das Gesetz verschob den strafrechtlichen Fokus weg vom Tat - hin zum Täter strafrecht, wobei bei der Sanktionierung von Verbrechen nicht länger die Straftat selbst als primäres Kriterium herangezogen wurde, sondern die Person des Straftäters selbst und deren Gefährdungspotenzial für die Allgemeinheit. Freilich

Das bunte Licht

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Das Sonnenlicht brach sich durch das bunte Fenster, während der Priester sprach. Mit diesem seltsamen hohen Singsang, den diese Priester so oft einnehmen, wenn sie ihre Predigt anstimmen. Als würde er nie Atem holen. Keinen Satz endgültig abschließen. Weihevoll. Ergriffen. Ergriffen wovon? Von sich selbst? Von der Pracht seines Gottes? Oder dessen Sohn? Oder dem heiligen Geist? Seltsame Sache, diese Dreifaltigkeit. Eins und dann doch in drei geteilt. Eins, aber doch nicht von dieser Welt, voller Überhöhung, voll seligen und doch im Grunde so verächtlichen Mitleids für dieses „Jammertal“ des Diesseits.    Das Sonnenlicht wurde schwächer. Doch die schwindende Intensität des Lichts machte die Buntheit, die das Kirchenfenster unter das Licht mischte, nicht minder beeindruckend. Der Nordmann war fasziniert. Er schaute auf das gebrochene, helle und doch so dunkle, eigentlich gelbweiße und dann doch bunte Licht, das in das kühle Gemäuer strömte.    Warum, überlegte er, diese bunte Pracht? Er

Staats- und Verwaltungsrecht im Nationalsozialismus

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Aufgrund des fließenden Übergangs, den man in der Empirie zwischen Politik bzw. Staat einerseits und Recht andererseits vorfindet, scheint es sinnvoll, an dieser Stelle zunächst die Peripherie des Rechtssystems in den Blick zu nehmen, welche – jedenfalls in funktional differenzierten Gesellschaften – dem politischen Prozedere in der Regel zumindest zeitlich und institutionell gesehen näher steht, da sie die legislativen Vorgänge bzw. die Gesetzgebung beinhaltet, die in liberal-demokratischen Regierungssystemen vom Parlament bzw. von mehreren Parlamenten ausgeht. Hier geht es nun insbesondere auch um jene Veränderungen, die im Fortgang des Dritten Reiches im Staats- und Verwaltungsrecht eintraten. Im Zuge der Beseitigung der Gewaltenteilung infolge des Ermächtigungsgesetzes der Nationalsozialisten im Jahre 1933 ergibt sich hier mit Blick auf das (u. a.) dadurch entdifferenzierte und politisierte Rechtssystem im Dritten Reich eine neue Systemstruktur. Der Reichstag als Gesetzgebungsorga