Konservatismus und Religion – Ein inniges Verhältnis


Ein Kommentar zur Weihnachtszeit

Wir leben in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die den Kult des Individuums pflegt. Individualisierung ist eine Entwicklung, die sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Siegeszug des Liberalismus immer mehr verstärkt hat: Der Einzelne steht im Mittelpunkt und steht über allem; kollektive Identitäten und Bindungen – von Ehe und Familie über Verein, Gemeinde und Kommune bis hin zu Region, Religion, Volk und Nation – werden immer unwichtiger und brechen zunehmend weg.

Die Generation Y besteht in weiten Teilen aus Leuten, die von ihren Eltern als kleine Götter erzogen worden sind: Wir können alles, dürfen alles, wollen alles. Grenzen jeder Art sind potenziell "faschistoid" und "ewiggestrig", sowohl nationale als auch persönliche. Das Fernsehen und die sozialen Netzwerke leben uns vor, dass wir alle Superstars werden können, und wir nur auf uns selbst vertrauen können und sollen, dass alle anderen außer uns selbst egal seien. Typische Mottos in diesem Zusammenhang: "Lebe deine Träume", "Mach dein Ding", "Scheiß drauf, was andere denken".

Lehrer berichten zunehmend, dass immer weniger Kinder in der Lage sind, mit Niederlagen oder mit Kritik konstruktiv und eigenverantwortlich umzugehen. Verliert man beim Spiel im Sportunterricht oder erhält man eine schlecht bewertete Arbeit zurück, ist große Krise angesagt: Die anderen sind schuld – Mitschüler, Lehrer, die äußeren Umstände. Viel Beschweren, viel Drama; aber wenig Erkennen eigener Verantwortlichkeiten, eigener Grenzen. Bei der Generation Z dürften sich die Merkmale ihrer Vorgängergeneration noch weiter verschärft haben.

Die wichtige Rolle der Religiosität

Als Konservative müssen wir derlei Entwicklungen grundlegend entgegenwirken. Wir müssen gemeinschaftliches Denken fördern und stärken. Ein wichtiger Weg dahin geht über die Religion bzw. die Religiosität, die wir – auch als AfD – noch nicht zur Genüge kommunizieren. Dabei ist sie so wichtig, denn sie lehrt uns, gerade wenn wir mit ihr aufwachsen, etwas ganz grundlegendes, das dem liberal-individualistischen Größen- und Machbarkeitswahn Einhalt gebietet: Dass es etwas gibt, das größer ist als wir selbst. Religion und Glaube lehren konservative Werte: Demut, Respekt, Zurückhaltung, Selbstzurücknahme.

Wer aufrichtig glaubt, der spürt in sich die Stimme von etwas grundlegendem, der spürt den Ur-Grund des Seins, der das Ich erst fundiert und das Ego zügelt. Sich als Teil von etwas Größerem zu sehen lehrt Rücksichtnahme, Vorsicht, Solidarität, Verantwortung. Also: Die Werte, an denen es heute so fehlt. Es lehrt auch, die eigene Fehlbarkeit zu erkennen und einzukalkulieren; es lehrt, die Illusion, die Rationalisten und Atheisten so oft im Brustton der Überzeugung vor sich her tragen, nämlich die Illusion, wir wüssten alles und könnten heute alles durchschauen und begreifen, zu erkennen und zu enttarnen.

Glaube und Religion lehren uns Durchhaltevermögen. Wer sich eingebettet weiß in etwas Größeres, etwas Übergeordnetes, der verliert sich nicht im Kleinlichen, im Kleingeistigen, im Materiellen und Verweltlichten. Wer (aufrichtig) religiös ist, sieht sich als Teil einer göttlichen Kraft, die einen vieles erreichen lassen kann, die einen aber im Falle des Fehlschlages auch ermutigt, gelassen und vertrauensvoll weiterzumachen, anstatt sich beleidigt und armeverschränkend in Schmollecken zurückzuziehen. Aufrichtiger Glaube wirkt zugleich auch dem Klischee des Wutbürgers mit dem roten Kopf und den hängenden Mundwinkeln entgegen: Wer einfach vertraut, sich selbst und auf Gott, der wird sich nicht von Wut oder Hass, von Frust oder Beleidigt-Sein leiten lassen, sondern von seinen Idealen, seinem Wissen um das, was richtig ist. Religiosität verleiht Sinn: Man weiß, wieso man lebt und wofür, ohne dabei abhängig zu sein von weltlichen und daher vergänglichen Gütern.

Wertschätzung der Freiheit – und ihrer Grenzen

Aber Religiosität lehrt sogar noch mehr – und das gerade in jenem Feld, welches der Liberalismus so gerne für sich beansprucht: Sie lehrt uns, Freiheit wertzuschätzen und wirklich zu verstehen – eben weil wir sie nicht mehr als etwas Selbstverständliches hinnehmen, das uns eben so zusteht wie die Luft zum Atmen. Der dekadente, atheistisch-rationalistische Zeitgeist-Liberale konsumiert Freiheit. Wie Fast Food. Er stopft sie achtlos in sich hinein, wie einen Hamburger, ohne tiefere Gedanken daran zu verschwenden; er schluckt sie runter und wird dick und krank davon, in all seiner Hektik, seiner Beschleunigung, seinem postmodernen Großstadtleben, in dem alles nur noch kurzfristiger Konsum im Zustand permanenter Langeweile und fatalistischer Ironisierung ist.

Daraus resultierend weiß er nicht mehr um seine Rolle in der Welt: Er weiß sich selbst nicht realistisch einzuschätzen, überhöht sich selbst und seine eigene Relevanz, sieht sich selbst im Mittelpunkt von allem und erlebt folgerichtig eine tiefe narzisstische Kränkung und persönliche Krise, wenn er sich irgendwann seiner Fehleinschätzung, seiner Grenzen und seiner Sterblichkeit bewusst wird.

Rufen wir uns an dieser Stelle exemplarisch all jene Fälle von Amokläufen und anderen „psychischen Explosionen“ ins Gedächtnis, die gerne vorschnell einem angeblich zu laschen Waffenrecht in die Schuhe geschoben werden. In Wirklichkeit handelt es sich hierbei um Mikro-Krisen des Liberalismus: Um Fälle, in denen sich Menschen durch die Atomisierung der Gemeinschaft selbst verloren haben, vereinsamt sind, anonymisiert, zurückgelassen, ohne soziale und spirituelle Bindungen, voller Hass auf sich selbst und ihre ignorante Umwelt – bis der Hass schließlich explodiert und schreckliche Folgen nach sich zieht.

Der religiös gefestigte Konservative hingegen weiß seine Freiheit zu schätzen, eben weil er um ihre Grenzen weiß, die sich durch Bindungen ergeben. Er ist der eigentlich Freie, der auf einem Feld oder in einem Wald steht und die Freiheit genussvoll innehaltend in sich einatmet – entschleunigt, ruhig, bewusst und nicht dauergelangweilt, sondern immer noch staunend (staunen können – was für eine wichtige Eigenschaft!). Man kann den Wert von etwas nur schätzen lernen, wenn man es in Maßen genießt. Inflation führt zur Wertminderung. Der Liberale schüttet maßlos in sich hinein; der Konservative genießt und wertschätzt. Und so wie das Yin nur durch das Yang möglich ist und andersherum, ist Freiheit nur durch Bindung möglich und umgekehrt. Wertschätzung von Freiheiten ergibt sich erst durch unvermeidliche Begrenzungen von Freiheit, auf keinen Fall aber durch dekadentes Übermaß.

Vorbild USA

Ich meine: Wir sollten uns hier von den US-amerikanischen Konservativen vor allem der Südstaaten inspirieren lassen, und "mehr Religion wagen". Gar nicht allzu konkret: Als Angehöriger einer recht kleinen Religionsgemeinschaft hätte ich für meinen Teil logischerweise ein Problem damit, würde die AfD plötzlich zum Sprachrohr etwa der Katholischen Kirche oder der EKD werden (welche ja aber, wie wir wissen, inzwischen ohnehin in weiten Teilen linksliberalisiert sind).

Aber das braucht es auch gar nicht. Siehe USA: Dort gibt es eine Vielzahl kleiner Kirchen und Glaubensgemeinschaften; bei der Republikanischen Partei findet man dutzende von entsprechenden Konfessionen. Und doch sind sie alle geeint dadurch, dass sie vom Wert der Religion für den Konservatismus überzeugt sind. Das transportiert zugleich ein Lebensgefühl, das man dem hip-urbanen Grünliberalen entgegensetzen kann: Den Glauben an etwas Großes, an etwas All-Umfassendes, an etwas Göttliches, in dem wir uns aufgehoben fühlen. Als Menschen, als Familien, als Volk und als Nation. Im Vertrauen auf eine bessere Zukunft, die aber das Gute der Vergangenheit bewahrt oder wiederherstellt. Das wäre es doch wert – oder? 

Allen Lesern eine frohe und vor allem besinnliche Weihnachtszeit!

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