Was Schönheit wirklich ausmacht

Allseits bekannte Redewendungen wie „Wahre Schönheit kommt von innen“ oder „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ machen bereits deutlich, dass die Frage, wer wirklich schön ist und wer nicht, nicht so einfach ist, wie Illustrierte oder Topmodel-Shows es uns glauben machen wollen. Offensichtlich ist Schönheit von Personen (Kunstwerke, Gebäude und andere Gegenstände klammern wir hier der Einfachheit halber einmal aus) eine durchaus komplexe Angelegenheit. Eine sozialwissenschaftliche Perspektive mag Licht in diese bringen.

Die Schönheit, die von innen kommt

Befragt man die Psychologie, so wird man schnell merken, dass die Attraktivität eines Menschen in maßgeblicher Form von seinem Selbstbild bestimmt wird. Anders gesagt: Wer sich schön fühlt, hat eine bessere Chance, auch von anderen als schön wahrgenommen zu werden, denn in diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Körpersprache – Mimik, Gestik, Körperhaltung, aber auch modischer Stil und sonstiges Auftreten (Habitus) – das positive Selbstwertgefühl widerspiegelt.

Wer mit seinem Äußeren im Reinen ist, zeigt dies auch unwillkürlich nach außen. Selbstbewusstsein ist – bei beiden Geschlechtern – sexy: Der Blick ist nicht ausweichend, die Gestik offen, die Körperhaltung gerade, der modische Stil reflektiert und durchdacht, der Händedruck fest. Ist das Selbstwertgefühl hingegen negativ, so wird sich dies unweigerlich auch in der Körpersprache niederschlagen. In diesem Fall sind fehlender Blickkontakt, Händekneten oder Hände-Verstecken, ungerade Körperhaltung / gesenkter Kopf, nachlässiger Kleidungsstil („Schlabberlook“) und schlaffer Händedruck (à la „toter Fisch“) das andere Extrem.

Oftmals wird unterschätzt, welch machtvollen Effekt dies in der Attraktivitätseinstufung von Menschen haben kann, wie gesagt bei beiden Geschlechtern. Man könnte gar so weit gehen zu behaupten, dass angeborene, ohne medizinische Operation unveränderliche Schönheitsmerkmale in vielerlei Fällen gar sekundär sind und hinter solchen psychosozialen Kriterien zurückstehen. Nun muss man sich vor solch absoluten „Schönheitsgesetzen“ hüten – was wie wichtig ist, ist von Mensch zu Mensch (und auch von Betrachter zu Betrachter) unterschiedlich. Und dennoch: Beobachtet man – beispielsweise in der U-Bahn – mal aufmerksam die ästhetische Selbstgestaltung der Menschen, so wird einem oft auffallen, dass so mancher bzw. so manche mehr aus sich machen könnte, wenn er bzw. sie nur wollte – trotz Übergewicht, trotz vielleicht zu großer Nase oder zu dünnen Lippen, trotz zu hoher oder zu niedriger Stirn, trotz zu niedrigen Wangenknochen oder ähnlichen vermeintlichen anatomisch-ästhetischen Defiziten.

Wer den Unterschied einmal direkt testen will, keine Angst vor Reaktionen fremder Leute hat und zumindest ein gewisses schauspielerisches Talent aufweist, kann ja einmal den praktischen Test machen: Beim nächsten Flirtversuch in der Disco oder bei sonstigen Gelegenheiten einmal mit gesenktem Kopf, fehlendem Augenkontakt und gebeugter Körperhaltung eine Annäherung wagen – und danach, bei jemand anders, mit erhobenem Kopf, direktem Blickkontakt und gerader Körperhaltung. Wetten, dass jedenfalls bei einer ausreichend repräsentativen Zahl an Annäherungsversuchen der Unterschied in der Erfolgsquote beider Annäherungsstile deutlich hervortritt?

Wenn wir uns attraktiv fühlen, sind wir attraktiver. Attraktiver fühlen wir uns, wenn wir mit uns selbst als Menschen im Reinen sind – wenn wir uns gut so finden wie wir sind, wenn unsere Psyche gesund ist. Nicht umsonst bezahlt die Krankenkasse Chemotherapie-Patientinnen die Perücke, wenn die Haare ausfallen. Man weiß: Der positive morgendliche Blick in den Spiegel, das Wissen dabei, so richtig zu sein, wie man (frau) ist, bewahrt die psychische Gesundheit. Der Satz, dass wahre Schönheit von innen kommt, ist, wie diese Beispiele deutlich machen, ist also nicht nur irgendeine tröstende Lyrik für menschliche Vogelscheuchen. Im Gegenteil: Er ist wissenschaftlich nachweisbare Realität.

Die Augen der Betrachter

Auch die Soziologie hat ihren eigenen Blick auf menschliche Schönheit. Hier wird man indes feststellen, dass Schönheit nichts objektiv und naturgegeben vorhandenes ist, sondern ein Ergebnis subjektiver sozialer Zurechnung, sozialer Konstruktion. Was genau heißt das?

Was wir schön finden, definieren bis zu einem gewissen Punkt unsere Gene und unsere Hormone, woraus sich die sexuelle Dimension von Attraktivität ergibt. Unsere Hormone etwa sorgen dafür, dass wir gewisse Geschlechtsmerkmale sexuell attraktiv finden und andere nicht. Doch dies ist längst nicht alles, was Schönheit ausmacht. Denn Schönheit hat auch eine soziale Dimension.

Wer sich einmal den Spaß macht, nacheinander Spielfilme aus den 50er Jahren, den späten 60er Jahren und den 80er Jahren zu schauen, wird allein merken, wie verschiedene Schönheitsideale die Mentalitäten ganzer Gesellschaften wiedergaben: Die treue dauergewellte Hausfrau der 50er, das durch und durch natürliche, ungeschminkte Hippie-Girl mit den langen glatten Haaren von 1968 und schließlich die übermäßig zugekleisterte, hochtoupierte Schulterpolster-Karrierefrau der 80er. In all diesen Schönheitsidealen drücken sich auch gesellschaftliche Ideale aus: Zunächst das konservative Familienbild, danach der Wert der Natürlichkeit und der Authentizität und schließlich das karriereorientierte „Mehr Schein als Sein“, das Mehr-aus-sich-machen-als-man-ist.

Beispiele, die man endlos fortsetzen kann: So hätte man die heute üblichen Hipster-Vollbärte bei Männern vermutlich vor noch 10 bis 20 Jahren zu komischen Zotteln erklärt, so wie die 80er-Jahre-Vokuhila-Frisur, durch die so mancher deutsche Fußballspieler jener Zeit auffiel, heute oftmals als geradezu peinlich rezipiert wird. Auch der Emo-Pony, der bei männlichen Jugendlichen vor etwa einer Dekade in war, lockt heute wohl nur noch wenige Mädels hinter dem Ofen hervor, im Gegensatz vielleicht zum strengen Kurzhaar-Seitenscheitel der Hipster-Szene. Man denke zudem an Trends der Körpermodifikation wie Tattoos oder Piercings: Was früher als asozial wahrgenommen wurde, gehört heute in manchen Kreisen fast zum guten Ton.

Wir sehen also: Schönheit ist immer auch gesellschaftlich geformt und gemacht. Die Gesellschaft formt unsere Vorstellung davon, was schön ist und was nicht, entscheidend mit; oftmals wohl, ohne dass wir es so wirklich merken. Gesellschaftliche Ideale – sei es nun in Hinsicht auf Schönheit oder auf ganz andere Fragen – werden von uns geradezu automatisch internalisiert und aufgegriffen. In machtvoller Form entscheiden sie darüber, bei wem wir gut ankommen und bei wem nicht, was wir uns im Fernsehen oder im Kino ansehen oder was nicht, welchem Star wir huldigen und welchem nicht (mehr), welche kosmetischen Produkte wir kaufen und welche nicht.

Doch nicht nur die Gesellschaft entscheidet über unser Schönheitsideal, sondern auch kleinere soziale Einheiten wie Familie, Organisation oder Milieu. Schönheitsideale werden schon von Kindheit an ansozialisiert: Wachse ich in einem konservativen Elternhaus auf, so wird sich vielleicht auch meine Schönheitsvorstellung eher konservativ ausrichten (es sei denn, die obligatorische Rebellion während der Pubertät ist über diese hinaus wirkmächtig – in diesem Fall wird später vielleicht genau das Gegenteil präferiert). Auch der Arbeitgeber mischt tüchtig mit: Während ein Piercing im Gesicht unter Sozialarbeitern fast schon eine Art Berufsuniform ist, dürfte es der Abteilungsleiter einer Bank unter seinen Azubis vielleicht weniger gern sehen.

Anhand dieser Beispiele wird denn auch schon die Milieu-Abhängigkeit von Schönheitskriterien deutlich: Was in dem einen gesellschaftlichen Milieu als schön oder sexy gilt, mag in dem anderen genau das Gegenteil bedeuten. Gerade die universitär-studentische Welt liefert hierfür so manche Beispiele. So kommt der Typus „Rosa-Polohemden-Träger mit goldener Armbanduhr“ im Milieu der Jura- und BWL-Studenten mit hoher Wahrscheinlichkeit besser an als der linksalternative Langhaarige mit Bandshirt und Gothic-Kluft. Letzterer wird hingegen im sozialwissenschaftlichen Studenten-Milieu vermutlich weniger negativ auffallen, während der Polohemden-Träger sich in einer Soziologie-Vorlesung dem ernsthaften Risiko aussetzt, zum Gespött der Kommilitonen zu werden. Du bezweifelst das? Dann setz dich mal in eine entsprechende Vorlesung der nächstgelegenen Uni und mach die Probe auf’s Exempel.

Wir merken also: Attraktivität und Schönheit sind in vielerlei Fällen keine generalisierbaren, absoluten Werte, sondern Gegenstände sozialer Zuschreibung. Gesellschaft, Milieu und Co haben hier ein gewaltiges Wörtchen mitzureden, sowohl in positiver als auch in negativer Weise. Schönheit liegt in der Tat auch im Auge des Betrachters, besser gesagt: der Betrachter des jeweiligen sozialen Systems. „Den“ schönen Menschen gibt es nicht. Doch kann man sich – oder andere – unter diesen Voraussetzungen eigentlich noch verschönern, wenn doch ohnehin alles irgendwie beobachterabhängig ist?

Ist Schönheit optimierbar?

Antwort: Aber ja! Wichtig dabei ist jedoch, wenn man die oben dargelegten Erkenntnisse zu Ende denkt, den Adressaten seiner Schönheitsbemühungen zu kennen. Frage dich: Bei wem will ich eigentlich gut ankommen? Bei mir selbst? Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Aber bei wem noch? In der Gesellschaft als Ganzes? In meinem sozialen Milieu? Oder in einem anderen? Die beste Schönheitsoptimierung liegt darin, zunächst die Antworten auf diese Fragen zu kennen.

Auch der Wert der Authentizität ist hierbei wieder nicht zu verachten: Das äußere Bild sollte den inneren Werten, die einen ausmachen, entsprechen. Die Frau, die sich im tiefsten Innern als naturverbundenen Hippie sieht, wird in einem „Kostümchen“ wohl immer wie verkleidet erscheinen. Zugleich wird die taffe Bankerin und Karrierefrau sich vermutlich unseriös vorkommen, wenn das Make-up aus ihr eine Elfe aus einem Märchenfilm zu machen versucht. Sind hingegen Inneres und Äußeres in Harmonie miteinander, ist das Bild stimmig, das Selbstwertgefühl gesteigert und die Grundlage für die Attraktivitätszurechnung gewährleistet.

Wer nach Schönheitsoptimierung trachtet – wie und durch welche Mittel auch immer – sollte dies zuerst bedenken, sowohl bei eigener Durchführung als auch durch professionelle Dienstleister vom Friseur über den Make-up Artist bis hin zum Schönheitschirurgen. Echte Profis dieser Branche sind diejenigen, die sich über genau diese Zusammenhänge im Klaren sind (anstatt anderen die eigenen, eben mitunter sehr subjektiven und milieuabhängigen Vorstellungen von Schönheit aufoktroyieren zu wollen): Bestehendes wird unterstrichen und nicht verfälscht; es werden bereits existierende Potenziale genutzt anstatt Illusionen kreieren zu wollen. In vielerlei Fällen ist weniger eben wirklich mehr – immer dann, wenn die soziale Selbstdarstellung, zu der Mode und Makeup genauso zählen wie Körper- und verbale Sprache, mit sich im Einklang ist. Wer diesen Einklang findet, findet sich schließlich selbst.

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